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Kinderdemenz NCL - wenn ein Kind verschwindet

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NCL ist sehr selten, aber extrem aggressiv: Betroffene Kinder erblinden innerhalb weniger Jahre, verlieren ihr Gedächtnis, verlernen zu sprechen und zu gehen. Eine neue Therapie verspricht Hoffnung, wird aber nicht allen Betroffenen helfen können.

Wer Kinder hat, für den vergeht die Zeit viel schneller. Für die Eltern von Hannah und Klara rast sie. Die beiden Mädchen – die eine aus Nord-, die andere aus Süddeutschland – leiden an einer besonders aggressiven Form der Kinderdemenz, CLN2. Hannah ist zehn, ihre Sprache verwaschen, sie kommt nicht mehr alleine die Treppe hoch. Klara leidet unter epileptischen Anfällen, weil sie oft fällt, trägt sie einen Helm. Bis vor kurzem waren die beiden unbeschwerte Mädchen, dann kamen die ersten Symptome, schließlich die Diagnose: Kinderdemenz. Eine Krankheit, die in kurzer Zeit ein kleines Leben zerstört und für die es keine Heilung gibt. Aber eine Therapie, die ein Hoffnungsschimmer sein könnte für betroffene Familien.

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„Kinderdemenz“ ist der Überbegriff für 13 verschiedene Krankheiten, die eines gemeinsam haben: Sie schädigen das Gehirn so stark, dass die Patienten meist sehr schnell ihre geistigen und motorischen Fähigkeiten verlieren. Der medizinische Begriff für Kinderdemenz lautet Neuronale Ceroid Lipofuszinose, kurz: NCL. Beschrieben wurde die Krankheit schon im 19. Jahrhundert von einem norwegischen Arzt.

Der Auslöser für NCL: eine Genmutation

Ursache für NCL ist ein kaputtes Gen – warum manche Gene nicht vollständig sind oder defekt, weiß niemand. Jeder Mensch hat solche Gene im Erbgut, ist Träger von Erbkrankheiten ohne es zu wissen. Ein defektes Gen bedeutet nicht, dass eine Krankheit auch ausbricht. Denn jeder Mensch besitzt jedes Gen in zweifacher Ausführung – einmal vom Erbgut der Mutter, einmal vom Erbgut des Vaters – und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das zweite Gen intakt ist. Kinder, die an NCL erkranken, haben von beiden Eltern jeweils ein beschädigtes Gen erhalten. „Wenn Mutter und Vater beide Träger eines defekten Gens sind, besteht ein Risiko von 25 Prozent, dass eines der Kinder an NCL erkranken wird“, erklärt Dr. Frank Stehr von der NCL-Stiftung in Hamburg. Es kann aber auch gut gehen und die Eltern vererben beide ihr intaktes Gen, oder nur ein beschädigtes. Das erklärt, warum viele Patienten gesunde Geschwister haben.
NCL ist eine sehr seltene Krankheit. „Man kann schlecht sagen, wie viele Erkrankte es wirklich gibt. Fehldiagnosen sind immer noch häufig“, sagt Frank Stehr. Die NCL-Stiftung geht von 70.000 Fällen weltweit aus, in Deutschland sind es etwa 700.

Die Folge: Gehirnzellen sterben ab

Die Krankheit bricht aus, weil sich im Gehirn der Betroffenen sehr viele, fettähnliche Substanzen ansammeln. Bei Gesunden sorgen Enzyme und weitere Eiweiße dafür, dass diese Ablagerungen entfernt und recycelt werden. Bei NCL-Patienten fehlen diese Helfer aufgrund der Genmutation oder sind kaputt. Die Zellen im Gehirn sterben ab. „Die ersten Symptome treten meist im Einschulungsalter auf, zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr“, erklärt Frank Stehr. Anfangs sind nur die Augen betroffen, aber die Sehstörungen lassen sich mit einer Brille nicht beheben. Dann schreitet die Krankheit sehr schnell voran, die Kinder erblinden innerhalb weniger Jahre. Es folgen schulische Probleme, das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr, die Patienten entwickeln sich geistig zurück wie bei Alzheimer – daher die Bezeichnung „Kinderdemenz“. Später kommen epileptische Anfälle dazu, die Betroffenen können nicht mehr gehen, zuletzt nicht mehr schlucken. Bei der etwas langsamer voran schreitenden juvenilen NCL (CLN3) erleben nur wenige Patienten ihren 30. Geburtstag. Noch aggressiver und schneller verlaufen die infantile NCL (CLN1, Babys) und die spät-infantile NCL (CLN2, Kleinkinder). Letztere ist immer wieder Thema in den Medien, denn hier gibt es endlich eine Therapie.

Die NCL-Therapie: Hoffnung, aber nicht für jeden

CLN2-Patienten fehlt ein Enzym im Gehirn, dass für die Reinigungsarbeiten in den Zellen zuständig ist. Einer amerikanischen Bio-Tech-Firma ist es gelungen, dieses Enzym nachzubauen und ins Gehirn zu schleusen. Auch das ist nicht einfach: In einer Operation wird den betroffenen Kindern ein Zugang zum Gehirn gelegt, über den das Enzym alle zwei Wochen eingeträufelt wird. Die erste Studie mit weltweit 24 Kindern (12 davon in Hamburg) war vielversprechend: „In 87 Prozent der Fälle kam es zu einer Verlangsamung oder zu einem Stopp der Krankheit“, so Stehr. Trotzdem gab es Kritik, denn es konnten nicht alle betroffenen Kinder daran teilnehmen. Die Eltern von Hannah und Klara kämpften zum Beispiel darum, dass ihre Töchter den Wirkstoff schnellstmöglich in einer zweiten Studie bekommen oder über ein „Compassionate Use“-Programm. Das heißt, die Firma würde eine Ausnahme machen und aus Mitgefühl („compassion“) die Behandlung mit dem Medikament, obwohl es noch nicht zu Ende getestet und zugelassen ist, in Einzelfällen erlauben.
Für Kinder wie Hannah oder Klara sind solche Programme oft der einzige Strohhalm, der ihnen bleibt – ihnen läuft die Zeit davon. Die Krankheit zerstört ihr Gehirn in rasender Geschwindigkeit, bis das Medikament auf den Markt kommt, könnte es für die beiden längst zu spät sein. Compassionate-Use-Programme sind aber auch umstritten, sie können die Zulassung gefährden – etwa wenn Nebenwirkungen und andere Komplikationen auftauchen – und das Medikament letztlich niemandem helfen. Ein Dilemma, vor dem Ärzte, Wissenschaftler und Pharmahersteller immer wieder stehen und das noch niemand lösen konnte.
Im Fall des neuen CLN2-Medikaments gibt es mittlerweile eine weitere Studie sowie ein Compassionate-Use-Programm und somit neue Hoffnung für Klara und Hannah. Kinder, die an einer anderen Form der Kinderdemenz leiden, werden davon leider nicht profitieren. So ist zum Beispiel bei CLN3, der Form die langsamer verläuft, kein Enzym betroffen, sondern ein Membranprotein. „Welche Funktion dieses Protein hat, ist noch unbekannt. Zudem lassen sich diese Proteine nicht so einfach nachbauen und in den Körper bringen wie Enzyme“, erklärt Frank Stehr. Die NCL-Stiftung – gegründet von einem Vater, dessen Sohn an CLN3 leidet – unterstützt deshalb Forschungen zur Kinderdemenz. Denn noch haben Wissenschaftler die Krankheit nicht ganz verstanden, ist zum Beispiel nicht klar, warum die Krankheit erst mit fünf oder sechs Jahren ausbricht. Kann der Körper den Gendefekt solange ausgleichen? Lässt er sich eines Tages mit einer Gentherapie beheben? Die Antworten darauf liegen in der Zukunft – bis man sie entdeckt, dauert es hoffentlich nicht mehr allzu lange.

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Bildquelle: iStock

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