Ein Leben ohne TV können wir uns schon seit Generationen nicht mehr vorstellen. Es gibt so gut wie niemanden, der nicht zumindest ab und zu Fernsehen konsumiert – ob klassisch im linearen Programm oder per Stream. Doch was sagt es über deine soziale Herkunft aus, was du wo guckst?
Du ziehst dir jede Staffel "Dschungelcamp" und "Sommerhaus der Stars" rein? Oder weißt du durch arte-Dokus alles über Nordkorea oder den Nahost-Konflikt? Unsere Fernsehgewohnheiten geben ziemlich viel über uns preis. Von der Größe des Bildschirms bis zum Serien-Genre – diese 7 Gewohnheiten geben (nicht ganz klischeefreie) Hinweise darauf, wie wir aufgewachsen sind, aus welcher sozialen Schicht wir kommen. Lasst uns doch mal gucken, wie ihr so glotzt!
#1 Privatsender vs. öffentlich-rechtlich – was deine Auswahl auf der Fernbedienung preisgibt
Laut Statistischem Bundesamt lag die durchschnittliche tägliche Fernsehdauer im Jahr 2024 in Deutschland bei 176 Minuten. Statistisch gesehen hängt also jede*r von uns drei Stunden am Tag vor der Glotze. Welchen Sender wir dabei einschalten, verrät dabei zuerst einmal eins über uns: unser Alter.
Privatsender wie RTL und ProSieben schauen vor allem 14- bis 49-Jährige. Öffentlich-rechtliche Sender wie ARD und ZDF werden dagegen besonders oft von Zuschauer*innen Ü65 eingeschaltet. Bei den Kleinen von 3-13 Jahren liegen Super RTL und der Disney Channel ganz oben auf der Beliebtheitsskala.
Kein "Unterschichtenfernsehen"
Aber: Über die soziale Herkunft sagt die Senderwahl nichts aus! Als Harald Schmidt 2005 die Privaten als "Unterschichtenfernsehen" diffamierte, wertete der Konzern ProSiebenSat.1 mit Hilfe des Umfrageinstitus Forsa Daten der Forschungsanstalt GfK aus. Ergebnis: Bildungsstand und Angehörigkeit zu einer Berufsgruppe lassen keinen Aufschluss über die Präferenzen zu. Auch Top-Verdiener*innen, Führungskräfte und Bessergebildete sehen Privatfernsehen, oft häufiger als öffentlich-rechtliche Programme.
Und mit einem Augenzwinkern kann man sagen: Der typische arte-Zuschauer, also der besonders gebildete Akademiker, hat überhaupt keinen Fernseher.
#2 Streaming oder linear – das verrät's über dich
Auch ob wir linear konsumieren oder streamen, hängt in erster Line vom Alter ab: Wie die ARD-/ZDF-Medienstudie ermittelt hat, schauen unter den 14- bis 29-Jährigen weniger als 50 % regelmäßig lineares Programm, Tendenz weiter sinkend. Der Trend bei dieser Altersgruppe geht also klar zu non-linear: zu Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+ aber auch zu den Mediatheken.
Aus der Deloitte Media Consumer Survey 2004 resultiert allerdings, dass auch das lineare TV-Angebot weiterhin punktet. Vor allem der Live-Charakter ist noch immer unschlagbar. So werden wichtige Sportevents sowie Live-Finale, z. B. bei "Germany's Next Topmodel" oder "Dschungelcamp", nach wie vor am liebsten linear geschaut.
Wenn du also aus einer Familie von Fußballfans kommst oder in deinem Freundeskreis Reality-Shows gesuchtet werden, schaust du wahrscheinlich zumindest ab und an lineares TV. Über deine soziale Schicht sagt das allerdings nichts aus, denn sowohl Fußball als auch Reality-Shows sind Massenphänomene, die schichtenübergreifend beliebt sind.
In sozial schwachen Familien läuft der Fernseher nebenbei
Auch bei der bequemen Nutzung als „Nebenbei-Medium“ liegt lineares Fernsehen vorn, denn davon kann man sich einfach berieseln lassen, ohne bewusst ein Format auszuwählen. 2007 hat das christliche Hilfswerk World Vision eine Studie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass Kinder aus sozial schwachen Schichten deutlich längere tägliche Fernsehzeiten haben als Kids aus gehobeneren Schichten.
Amerikanische Forschungsarbeiten zeigen, dass die Mittelklasse eher als die sog. Arbeiterklasse dazu neigt, gezielter fernzusehen, indem sie ein bestimmtes Programm auswählt, anstatt passiv eine größere Menge an Inhalten zu konsumieren. Wenn bei dir im Erwachsenenalter also gewohnheitsmäßig der Fernseher nebenbei läuft, ist es gut möglich, dass deine Eltern der Arbeiterklasse angehörten.
#3 Riesenscreen oder gar keinen Fernseher?
Fernsehgeräte mit 55 und 65 Zoll dominieren den Markt. Du aber hast einen wesentlich größeren Fernseher zuhause stehen? Dann gehörst du wahrscheinlich zu mindestens einer der (nicht ganz ernst gemeinten) folgenden sozialen Gruppen:
- Cineast*innen: Du liebst Filme und würdest am liebsten im Kino wohnen. Da das schwer umsetzbar ist, möchtest du dir zumindest ein tolles Heimkinoerlebnis ermöglichen.
- Hauseigentümer*innen: Wie ein Blogartikel erläutert, macht ein großer Screen nur Sinn, wenn dein Wohn- oder Schlafzimmer so viel Raum bietet, dass du ihn in einem angemessenen Abstand aufstellen kannst. Hast du also einen riesigen Fernseher zuhause, gehört dir wahrscheinlich ein weitläufiges Gut auf dem Land.
- Technikprotze: Du bist sehr technikaffin und verfolgst genau, was sich in puncto Screen-Technik tut. Klar, dass du immer das neueste, beste und natürlich größte Modell brauchst.
- Millionenerb*innen: Um deine Luxusimmobilie angemessen einzurichten, setzt du auf einen besonders gigantischen TV-Screen.
Laut einer YouGov-Umfrage haben allerdings 7 % der Deutschen überhaupt keinen Fernseher. Wenn das auf dich zutriffst, bist du wahrscheinlich jung (21 % der 18- bis 24-Jährigen haben kein TV-Gerät). Schätzungsweise schaust du in diesem Falle eher auf Tablet oder Smartphone. Oder aber du stammst aus einem Haushalt, der bewusst eine produktivere Lebensweise anstrebt. Fernsehen ist für diese gesellschaftliche Schicht Zeitverschwendung.
#4 Dein Seriengeschmack als Distinktionsmerkmal
Alle sozialen Schichten lieben Serien! Allerdings können bestimmte Serien und deren Themen je nach sozialer Schicht unterschiedliche Anziehungspunkte haben. Möglicherweise liebst du "Shameless" oder "Southpark", weil du selbst aus der Arbeiterklasse kommst. Du stehst dagegen auf das Thema "Reichtum" und Serien wie "Billions" oder "Silicon Valley"? Dann bist du evtl. mit dem goldenen Löffel im Mund in der Oberschicht aufgewachsen – oder wärst es gern.
Und was ist mit den anderen Genres? Wagen wir doch mal einen Blick:
- Action-Serien: Es gibt keine spezifische soziale Schicht, die exklusiv Action-Serien schaut. Im Gegenteil: Sie sind bei einem breiten Publikum beliebt, das über soziale Grenzen hinweg reicht. Spannung ist also keine Frage des Habitus!
- Comedy-Serien: Hier kommt es sehr darauf an, um welches Thema es geht. Laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2023 sehen Zuschauer*innen der Arbeiterklasse mehr Comedy als die Mittelklasse. Zu Sitcoms haben Forschende der University of Oregon herausgefunden, dass die dortige Darstellung von Klassen mit der "Überlegenheitstheorie des Humors" zusammenhängt. Indem sich das Publikum über Charaktere der unteren Schichten lustig macht, kann es ein Gefühl der Überlegenheit empfinden.
- Drama-Serien: Auch Zuschauer*innen von Drama-Serien lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Wenn überhaupt, lassen sie sich eher nach dem Alter als nach der sozialen Schicht kategorisieren. So richten sich z. B. Coming-of-age-Serien vorwiegend an Jugendliche und junge Erwachsene, da sie die Themen des Erwachsenwerdens, der Selbstfindung und der ersten großen Emotionen behandeln. Als Fan von Familienserien bist du wahrscheinlich ein Kind der 80er/90er Jahre.
- Fantasy-Serien: Du liebst "Game of Thrones" oder auch "Supernatural"? Dann bist du nach Datenerhebungen jung, weiblich, gut gebildet und in der digitalen Welt vernetzt. Ähm, nein ...? Auch nicht außergewöhnlich, denn auch ältere und breitere Teile der Gesellschaft lieben dieses Genre.
- Horror-Serien: Splatter kennt keine (sozialen) Grenzen: Auch Horror eint die Gesellschaft, statt sie zu spalten. Horror-Serien sind bei einem breiten Publikum beliebt, das aus verschiedenen sozialen Hintergründen kommt.
- Krimi-Serien: Sag mir, welchen Krimi du guckst und ich sage dir, wer du bist: Laut einem Artikel der Zeit schaut jede soziale Schicht Krimis aber jede ein anderes Krimi-Genre. Akademiker*innen bevorzugen demnach "Tatort", Schüler*innen z. B. "Navy CIS" und Polizist*innen die actionreiche Autobahnserie "Alarm für Cobra 11".
- Historische Serien: Auch wenn History-Serien prinzipiell von allen sozialen Schichten geschaut werden – Bildungsinteressierte und Intellektuelle scheinen doch besonders oft zu den Fans zu gehören. Du brauchst noch ein Argument fürs Bingen? Bitte sehr: Psycholog*innen haben festgestellt, dass das Anschauen von historischen Dramen positive Effekte auf die psychische Gesundheit und die soziale Kompetenz haben kann. Dies gilt natürlich für Personen aus allen sozialen Schichten!
#5 Wie du über TV sprichst: Genuss oder Guilty Pleasure
Du schaust echt viel Fernsehen und stehst dazu? Auch wenn TV ein Massenphänomen ist und in allen sozialen Klassen konsumiert wird: Vor allem im sozial schwachen Umfeld wird TV-Konsum nicht hinterfragt. Hier gilt er als absolut legitim, extrem weit verbreitet und selbstverständlich.
Da es aber eine Korrelation zwischen hohem Fernsehkonsum und negativen Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten gibt, insbesondere verbunden mit geringer körperlicher Aktivität, hat das Fernsehen keinen tadellosen Ruf. Vor allem höher gebildete Menschen reflektieren ihren Konsum daher (zumindest nach außen hin) kritisch und betiteln z. B. ihre Leidenschaft für Serien als "Guilty Pleasure".
#6: Verrat mir dein Lieblingsformat und ich sage dir, woher du kommst
Bei welchem Format schaltest du denn besonders gerne ein? Lass uns mal checken, ob wir dadurch auf deine soziale Herkunft schließen können:
- Dokus: Okay, schwierig, denn es gibt keine einzelne soziale Schicht, die spezifisch Dokumentationen schaut. Doch, halt: Du schaust oft historische oder investigative Dokumentationen auf Sendern wie ARD, ZDF und arte? Dann gehörst du vermutlich zum Bildungsbürgertum. Dir sind spannende Themen wie Technik, Verbrechen oder Alltagskonflikte wichtiger? Dann bist du wahrscheinlich nicht ganz so intellektuell und zappst eher durch Sender wie DMAX oder RTL Crime.
- Reality-TV: Laut der Fakultät für Medien, Information und Design der Hochschule Hannover war Reality-TV lange ein Guilty Pleasure, über das man in "gebildeten Schichten" nicht sprach oder das man höchstens "ironisch" konsumierte. Mittlerweile gehören Trash-Formate wie der "Bachelor", "Temptation Island" oder "Bauer sucht Frau" längst zum Standardprogramm auch in studentischen WGs und liefern Stoff zum Lästern über alle sozialen Schichten hinweg.
- Nachrichten: Laut Umfragen ist die "Tagesschau" immer noch die Nummer 1 unter den Nachrichtensendungen in Deutschland und wird von verschiedenen Altersgruppen und allen sozialen Schichten geschaut. Doch sie ist schon lange nicht mehr das einzige Nachrichtenmedium: Jüngere Menschen nutzen vermehrt Online-Angebote und Apps, während ältere Bevölkerungsgruppen traditionell stärker auf lineares Fernsehen setzen.
#7 Allein oder Public Viewing: Fernsehen als soziales Bindeglied
Du schaust besonders viel TV und das meistens alleine? Dann bist du laut Ärzte-Zeitung vielleicht ein Kind aus sozial schwachen Verhältnissen. Oder nach einer YouGov-Umfrage ein*e Rentner*in – und zwar egal, aus welchem "Stall" du kommst. Viele ältere Menschen nutzen den Flimmerkasten als Instrument gegen Einsamkeit.
Guckst du hingegen gemeinsam mit anderen, stärkt das das Gemeinschaftsgefühl, wie ein Blogartikel von Metz Consumer Electronics unter Berufung auf Forschungen der amerikanischen Duke University und des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig darstellt. In einem Versuch mit Menschenaffen zeigte sich, dass die Tiere nach Ende eines gemeinsam geschauten Films große Bereitschaft zeigten, zu kommunizieren, zu interagieren und die Nähe der anderen zu suchen.
Fazit: Gemeinsam schauen überwindet Klassenunterschiede
Der Versuch bestätigt also das Gemeinschaftsgefühl, das wir insbesondere bei der "Königsklasse" des gemeinsamen TV-Konsums, beim Public Viewing, wahrnehmen: Zusammen schauen hat eine wichtige soziale Funktion, indem es die gemeinschaftliche Anteilnahme an Großereignissen fördert und ein Gefühl der Zugehörigkeit schafft.
Es ermöglicht das kollektive Erleben von Emotionen wie Freude und Trauer und stärkt die Identität, indem es Menschen in einer gemeinsamen Erfahrung vereint, die sie zu Hause isoliert nicht so intensiv empfinden würden. Es unterstützt also die Gemeinschaft über alle sozialen Schichten hinweg. Und das braucht unsere Gesellschaft gerade dringend.








