Manche Kinder und Jugendliche scheinen ein Traum zu sein: immer höflich, immer freundlich, stets bereit zu helfen. Sie nicken zustimmend, lächeln oft und machen keinen Ärger. Klingt wunderbar, oder?
Doch Psycholog*innen warnen: Hinter diesem „immer angenehmen“ Verhalten kann sich etwas verbergen, das in der Fachsprache Fawning heißt. Es handelt sich um eine Art übertriebene Anpassung, bei der junge Menschen ihre eigenen Bedürfnisse komplett zurückstellen, um anderen zu gefallen oder Konflikte zu vermeiden.
Was ist Fawning?
Fawning ist eine Stress- und Schutzreaktion, ähnlich wie Flucht oder Erstarren. Der Gedanke dahinter: „Wenn ich es allen recht mache, bin ich sicher.“ Jugendliche mit diesem Muster fürchten oft, andere zu enttäuschen oder abzulehnen. Sie lächeln, stimmen zu und verbergen ihre wahren Gefühle, selbst dann, wenn sie innerlich unzufrieden oder verletzt sind.
Wichtig: Das sieht für Außenstehende zunächst wie besonders gute Manieren oder Reife aus. Tatsächlich steckt dahinter nicht selten Unsicherheit, Angst oder das Gefühl, nicht wichtig zu sein.
Nicht 1:1 übersetzbar
„Fawning“ ist ein englischer Begriff, der sich nicht 1:1 ins Deutsche übersetzen lässt, weil es ein psychologisches Konzept beschreibt.
Wörtlich bedeutet to fawn im Englischen so etwas wie „schmeicheln“, „unterwürfig sein“ oder „sich einschmeicheln“. In der Psychologie bezeichnet „Fawning“ aber eine Stressreaktion, bei der eine Person versucht, durch übermäßige Freundlichkeit, Anpassung oder Unterwürfigkeit Gefahren oder Konflikte zu vermeiden.
Man könnte es auf Deutsch so umschreiben als: übermäßiges Gefallenwollen, ein konfliktscheues Anpassungsverhalten, das mit übertriebener Unterwürfigkeit und Selbstaufgabe einhergeht, um andere zufriedenzustellen.
Es ist, ähnlich wie „Fight, Flight, Freeze“, eine weitere Reaktion des Nervensystems. Das Ziel ist: „Ich tue alles, damit es keinen Ärger gibt und ich gemocht werde.“
Woran Eltern Fawning erkennen können
Nicht jede Freundlichkeit ist problematisch. Aber wenn folgende Muster auffallen, sollten Eltern genauer hinschauen:
- Das Kind entschuldigt sich ständig, auch ohne Grund.
- Es versucht, es jedem recht zu machen.
- Es definiert seinen Wert über die Bestätigung anderer.
- Es hat große Schwierigkeiten, Bedürfnisse zu äußern.
- Es sagt kaum, was es wirklich denkt oder fühlt, um niemanden zu verärgern.
- Eigene Gefühle werden unterdrückt.
- Andere werden stets wichtiger genommen als man selbst.
- Grenzen setzen fällt schwer, auch gegenüber Freund*innen oder Erwachsenen.
- „Nein“-Sagen ist fast unmöglich, selbst wenn eine Situation ungesund ist.
Fawning vs. People Pleasing
Zwar überschneiden sich die beiden, doch es gibt einen entscheidenden Unterschied:
- People Pleasing: Ziel ist es, gemocht oder anerkannt zu werden.
- Fawning: Ziel ist es, sich sicher zu fühlen.
Gerade in der Teenagerzeit, in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe enorm wichtig ist, kann Fawning schwer zu durchschauen sein. Manche gehen sogar Risiken ein, nur um akzeptiert zu werden.
Warum Fawning gefährlich werden kann
Dauerhaftes Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse erzeugt Stress. Das kann später zu erheblichen Problemen führen. Dazu gehören:
- Angststörungen oder Depressionen
- Geringes Selbstwertgefühl
- Ungesunde Beziehungen
- Perfektionismus
- Substanzmissbrauch als „Stressventil“
Jugendliche, die sich ständig anpassen, greifen manchmal zu Alkohol oder Drogen. Sie tun das entweder, um bei anderen besser anzukommen, oder um den Druck loszuwerden. Besonders riskant ist Konsum vor sozialen Situationen („Mut antrinken“) oder als „Ausschaltknopf“ nach stressigen Tagen.
Video: Die Phasen der Pubertät
Die Pubertät ist nicht leicht, weder für die Jugendlichen, die sie durchlaufen, noch für die Eltern, die nach Kräften unterstützen (und manchmal irritiert den Kopf schütteln). Im Video gibt es Wissenswertes rund ums Teenager-Dasein.
Wenn ihr tiefer ins Thema eintauchen wollt, können wir euch dieses Buch empfehlen. Wenn ihr stattdessen vielleicht auch eher mit Humor an die Sache rangeht, sei dieses Buch von Jan Weiler empfohlen.
Warnsignale für Substanzgebrauch als Folge von Fawning
Eltern sollten aufmerksam werden, wenn ihr Kind:
- vor Treffen mit anderen trinkt oder Drogen nimmt
- den Konsum verheimlicht
- nicht „Nein“ zu mehr Alkohol oder Drogen sagen kann
- Substanzen nutzt, um lockerer zu wirken oder dazuzugehören
Was Eltern tun können
Fawning ist kein Zeichen dafür, dass ein Kind „funktioniert“. Es ist oft eine stille Notstrategie. Eltern können helfen, indem sie:
- Gefühle ernst nehmen: Zeigt eurem Kind, dass seine Emotionen, Wünsche und Meinungen wichtig sind – auch wenn sie von euren eigenen abweichen.
- Gesunde Grenzen vorleben: Demonstriert, dass es erlaubt ist, „Nein“ zu sagen, ohne dass Liebe oder Wertschätzung verloren gehen.
- Unabhängigkeit fördern: Gebt eurem Kind den Raum, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Standpunkte zu vertreten.
- Therapeutische Unterstützung erwägen: Wenn Traurigkeit, Angst, Rückzug oder riskantes Verhalten anhalten, kann professionelle Hilfe helfen, wieder ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen.
Unkompliziert ist nicht immer gesund
„Unkompliziert“ ist nicht immer gleich „gesund“. Wenn Jugendlichen das Wohl anderer dauerhaft wichtiger ist als das eigene, lohnt es sich, als Eltern genauer hinzusehen. Mit Verständnis, Vorbild und Unterstützung könnt ihr eurem Kind helfen, sich selbst zu vertrauen, klare Grenzen zu setzen und Beziehungen zu führen, die auf Gegenseitigkeit statt Selbstaufgabe beruhen.
Selbstvertrauen stärken
Gerade, weil Fawning von außen wie „gutes Benehmen“ aussieht, bleibt es oft lange unbemerkt. Ein Kind, das nie widerspricht, immer lächelt und jedem Wunsch nachkommt, wirkt pflegeleicht. Innerlich kann es aber lernen, dass die eigenen Gefühle und Bedürfnisse weniger wert sind.
Für Eltern ist es deshalb wichtig, nicht nur das „brave Verhalten“ zu loben, sondern auch Momente zu fördern, in denen ihr Kind offen sagt, was es denkt, will oder nicht möchte. Das stärkt nicht nur das Selbstvertrauen, sondern schützt auch langfristig vor Überforderung und möglichen psychischen Belastungen.











