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Gute-Nacht-Geschichten

Der Schäferwolf

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von Christina Weber

Der Wolf Peter ist ein wenig anders als alle anderen Wölfe. Peter hat nämlich überhaupt keine Lust zu jagen. So verlässt er den Rudel und sucht nach einer neuen Lebensaufgabe...

Wolf-Peter war schon immer anders als die anderen Wölfe. Meistens merkte es aber keiner, denn er sah genauso struppig aus, wie die anderen, er konnte genauso gefährlich die Zähne fletschen, wie die anderen - und furchteinflößend knurren konnte er auch. Und den Mond anheulen - darin war er der Beste von allen.

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Wolf-Peter hatte aber ein großes Problem: Er konnte nicht jagen. Er fürchtete sich nämlich vor den wilden Tieren im Wald. Vor allem die großen Hirsche mit ihren mächtigen Geweihen jagten ihm immer Angst ein. Natürlich gab es auch kleinere Tiere, aber Wolf-Peter war befreundet mit Rudi Hase und er konnte doch unmöglich dessen Familienmitglieder auffressen.

So überredete er die anderen Wölfe, ihm etwas von ihrer Beute abzugeben. Er hatte da seine Tricks. Einmal tat er so, als hätte er schreckliches Zahnweh. Ein anderes Mal erzählte er den anderen, er hätte sich die Pfote verstaucht und könnte so unmöglich hinter den großen Tieren herjagen. Manchmal versteckte er sich auch einfach, wenn die anderen auf die Jagd gingen.

Irgendwann hatten die anderen Wölfe genug.

„Jetzt reicht´s!“, beschwerte sich Wolf-Rüdiger. „Immer frisst du mir mein Abendessen weg!“

„Genau!“, schmatzte Wolf-Berta. „Fang´ dir mal gefälligst selber was!“

„Das finde ich auch!“, maulte Wolf-Ram und fragte spöttisch: „Was hast du denn diesmal? Einen verrenkten Zeh? Oder Ohrenschmerzen?“

„Nö … ähm … Gicht“, murmelte Wolf-Peter, aber er merkte, dass das diesmal gar nicht gut bei den anderen ankam. „Aber dafür kann ich am besten und am lautesten den Mond anheulen!“, trumpfte er auf, wie immer, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kamen.

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„Ja, ja, das sagst du immer - aber davon wird man auch nicht satt“, knurrte Wolf-Rüdiger diesmal. „Wenn du nicht auch mal auf die Jagd gehst, dann kannst du bei uns nicht mehr mitmachen! Wir haben die Nase langsam voll.“

„Genau!“, stimmten die anderen Wölfe zu.

„Pffft! Ich will ja schon lange nicht mehr bei euch mitmachen“, rief Wolf-Peter empört. „Es ist eh total langweilig mit euch! Wer braucht denn schon so ein blödes Rudel? Ich hau ab!“

„Wirst schon sehen, wie weit du ohne uns kommst!“, riefen ihm die anderen Wölfe nach.

Wütend lief Wolf-Peter durch den Wald. „Blöde Wölfe! Blödes Rudel! Blöde Bande!“, schimpfte er vor sich hin. „He, was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“ Das war sein Freund Rudi Hase. „Ach, die blöden anderen Wölfe wollen mich nicht mehr in ihrem Rudel mitmachen lassen. Ich soll mit auf die Jagd gehen!“, berichtete Wolf-Peter trotzig.

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„Aha. Und was ist dein Problem dabei?“, wollte Rudi wissen.

„Das Problem ist, dass ich nicht auf die Jagd gehen will! ICH WILL NICHT! Kapiert?“, brüllte Wolf-Peter so laut, dass Rudis Ohren fast wegflogen.

„Oh. Aber darf ich fragen, warum du nicht auf die Jagd gehen willst?“, fragte Rudi vorsichtig. „Okay“, seufzte Wolf-Peter. „Ich verrate es dir. Aber du darfst es keinem weitererzählen!“ „Ich schwöre bei meiner Lieblingsrübe!“ Rudi Hase hob seine Pfote zum Hasenschwur.

„Ich habe Angst vor den wilden Tieren“, flüsterte Wolf-Peter. „Auweia!“ Rudi staunte. „Da hast du aber wirklich ein Problem. Was willst du denn dann fressen?“

Wolf-Peter überlegte. „Sag mal, Rudi, was frisst du eigentlich?“ „Gräser, Kräuter, Blätter. Grünzeug eben“, erklärte Rudi. „Kannst gerne mal kosten!“

Neugierig nahm Wolf-Peter ein Maul voll Hasenfutter, kaute gründlich - und spuckte es in hohem Bogen auf den Waldboden. „Pfui Teufel! Bäääh! Igitt! Rudi, so was kannst du doch nicht fressen!“

Auf der Suche nach Arbeit

„Doch, das finde ich sehr lecker“, entgegnete Rudi etwas beleidigt. „Aber du bist eben ein Wolf und Wölfe fressen Fleisch.“ „Stimmt. Aber wo bekomme ich das jetzt her? Hast du eine Idee?“ Wolf-Peter war ratlos. „Lass mich mal nachdenken!“ Rudi kratzte sich hinter den Löffeln. „Kennst du den Bauernhof unten am Fluss?“

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„Nein.“ Wolf-Peter schüttelte den Kopf. „Da unten am Fluss gibt es einen Hof, auf dem Menschen wohnen. Dort gibt es auch viele Tiere. Vielleicht kannst du da etwas fangen?“

„Oh je, Rudi! Mit den Menschen und ihren Tieren kenne ich mich ja gar nicht aus!“

„Na, komm!“, ermunterte Rudi seinen Freund. „Wir schauen uns die Sache mal an!“

Auseinandersetzung mit dem Ackergaul

Nach einiger Zeit erreichten die beiden den Waldrand. „Da unten ist es!“, sagte Rudi.

Eine Weile beobachteten sie den Hof. Dort gab es eine Menge Tiere, die Wolf-Peter noch nicht kannte. Eines davon wird eine prima Mahlzeit, dachte er. Er entschied sich schließlich, sein Glück bei einem großen Tier mit freundlichen Augen zu versuchen. Es ist groß genug für meinen Hunger und es sieht nicht sehr gefährlich aus, überlegte er. Zumindest hat es kein Geweih.

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In der Nacht schlich er sich auf den Hof und fand das große Tier im Stall. Das Tier sah ihn kommen und wieherte: „Wer bist du und was willst du hier?“

Wolf-Peter versuchte, sein allergefährlichstes Gesicht aufzusetzen. „Ich bin ein Wolf!“ Er bleckte die Zähne. „Und ich will dich jetzt fressen! Was bist du eigentlich für ein Tier?“

„Ich heiße Josef und ich bin hier der Ackergaul“, sagte das große Tier. „Und ich glaube nicht, dass du mich heute fressen wirst.“ Josef dreht sich langsam um. Erst in diesem Moment fielen Wolf-Peter die starken Beine und harten Hufe des Pferdes auf - und im nächsten Moment flog er auch schon aus dem Stall.

„Aua!“, jammerte Wolf-Peter. „So ein Mist!“ Er humpelte zurück zum Wald, wo Rudi ihn schon erwartete. „Oh, das war wohl nichts“, sagte Rudi mitleidig. „Versuchen wir es morgen noch einmal!“

Am nächsten Morgen beobachteten sie die Tiere noch einmal genauer. „Guck mal, Wolf-Peter, die drei kleinen Tiere mit den Flecken, die sehen doch harmlos aus!“, schlug Rudi vor. „Haben sie ein Geweih?“, wollte Wolf-Peter wissen. „Nein.“ Rudi schüttelte den Kopf. „Und Hufe?“ „Sieht nicht so aus.“ „Dann probiere ich es!“

Wolf-Peter schlich also zu der Weide, auf der die drei gefleckten Tiere standen.

Die drei starrten ihn neugierig an. „Wer bist du denn?“, fragte der Mutigste von ihnen.

„Ich heiße Wolf-Peter. Und ihr?“ „Wir heißen Fritz, Franz und Luise und wir sind Kälber. Was willst du hier?“ „Ich bin ein Wolf und ich werde euch jetzt fressen!“ Wolf-Peter fletschte die Zähne. „Waaas?“, quietschten da die Kälber. „Paaapaaa!“

Da hörte Wolf-Peter hinter sich ein tiefes „Öhöhöm“. Langsam drehte er sich um und direkt hinter ihm stand ein riesenhaftes Tier mit gefährlichen Hörnern und blitzte ihn aus seinen kleinen Augen böse an.

„Heiliger Reißzahn! Wer bist du denn?“ Wolf-Peter bekam große Augen. „Ich heiße Kuno und ich bin hier der Stier!“, brummte das riesenhafte Tier drohend. „Was willst du mit meinen Kindern machen?“ „Das ist euer Papa?“ Wolf-Peter konnte sein Pech nicht fassen. „Ich … äh … ich … wollte nur spielen.“

„Stimmt gar nicht, Papa!“ - „Er hat uns angeknurrt!“ - „Er wollte uns fressen!“, riefen Fritz, Franz und Luise durcheinander. „Olle Petzen!“, schrie Wolf-Peter, aber da senkte Kuno schon seinen gewaltigen Kopf und im nächsten Moment flog Wolf-Peter in einem hohen Bogen über die Weide und landete in der ersten Tanne am Waldrand.

„Nanu? Was machst du denn da oben?“, wunderte sich Rudi Hase. „Du und deine tollen Ideen!“, schimpfte Wolf-Peter und kletterte ächzend aus der Tanne. Ärgerlich zupfte er sich die Tannennadeln aus dem struppigen Fell. „Jetzt habe ich lauter blaue Flecken, aber immer noch Hunger! Hör mal, wie mein Magen knurrt!“ Plötzlich bemerkte er einen köstlichen Duft. „Du, Rudi, riechst du das? Das kommt vom Hof!“, rief er aufgeregt.

„Was denn?“, fragte Rudi, aber Wolf-Peter war schon unterwegs. Schnuppernd folgte er dem wunderbaren Duft. Vorsichtig schlich er über den Hof. Dort stand eine Schüssel mit der leckersten Mahlzeit, die er sich vorstellen konnte. Vorsichtig schaute er sich um, dann stürzte er sich auf die Schüssel und wollte gerade anfangen zu fressen, da hörte er hinter sich schon wieder ein tiefes „Öhöhöm“.

„Oh nein!“, seufzte Wolf-Peter. „Nicht schon wieder!“ Langsam drehte er sich um. Hinter ihm stand ein Tier, das etwa genauso groß war, wie er selbst. Es hatte auch genauso spitze und gefährliche Zähne.

„Was machst du denn da an meinem Napf?“, knurrte das Tier. „Dein Napf? Wer bist du denn?“, wollte Wolf-Peter wissen. „Ich heiße Hasso und ich bin hier der Wachhund. Und du?“ „Ich bin Wolf-Peter und ich habe einen Riesenhunger! Kannst du mir nicht etwas davon abgeben?“, bettelte Wolf-Peter. „Bitte!“

„Na gut, bedien´ dich!“ Hasso schaute ihn an. „Eigentlich muss ich einen Wolf sofort vom Hof verjagen, aber friss erst einmal!“ „Danke, Hasso!“, murmelte Wolf-Peter mit vollem Maul. „Das ist wirklich nett von dir.“ Und weil Hasso eigentlich ganz freundlich war, klagte er ihm sein ganzes Leid.

Hasso hörte geduldig zu, wusste aber auch keine Lösung. „Sag mal, Hasso“, wollte Wolf-Peter wissen, „wer gibt dir eigentlich dieses leckere Futter?“ „Der Bauer“, erklärte Hasso. „Und warum macht der das?“, fragte Wolf-Peter. „Jeder hier bei uns auf dem Hof hat eine Aufgabe. Das Pferd hilft dem Bauern auf dem Feld, die Kühe geben Milch, die Katzen fangen die Mäuse, die Schafe haben ihre Wolle und ich beschütze den Hof. Jeder hat etwas zu tun und dafür bekommen wir vom Bauern auch unser Futter.“

„Kann ich hier nicht auch anfangen?“, fragte Wolf-Peter. „Ein Wolf auf dem Bauernhof? Ich weiß nicht …“, zweifelte Hasso. „Was kannst du denn?“

„Oh, ich kann ziemlich schnell rennen, furchteinflößend knurren und die Zähne fletschen und am allerbesten von allen Wölfen den Mond anheulen.“

Hasso dachte nach. „Unser Schäferhund ist schon ziemlich alt. Er kommt den Schafen nicht mehr hinterher und vor den Wölfen kann er sie auch nicht mehr so recht schützen.“

„Oh, ich bin schnell und mit Wölfen kenne ich mich aus“, meinte Wolf-Peter eifrig.

„Hmm … Ich kann das ja mal klären“, versprach Hasso. „Komm heute Abend wieder.“ Wolf-Peter erzählte Rudi von seinem Gespräch.

„Ein Wolf als Schäferhund?“, rief Rudi ungläubig. „Da werde sich die anderen Wölfe ja totlachen!“ „Mir doch egal!“, brummte Wolf-Peter. Gespannt schlich sich Wolf-Peter am Abend wieder zu Hasso.

„Das geht in Ordnung“, sagte Hasso. „Du kannst hier anfangen, erst einmal zur Probe. Der Schäferhund arbeitet dich ein. Aber lass dir ja nicht einfallen, noch mal eines von unseren Tieren auffressen zu wollen!“

Und so wurde Wolf-Peter der erste Schäferwolf. Zuerst waren die anderen Tiere sehr misstrauisch, aber weil er seine Sache gut machte und auch sonst ein verträglicher Kerl war, durfte er bleiben.

Er wurde der beste Schäferwolf, den der Bauer je hatte, und weil er so gut heulen konnte, wurde er sogar noch ein Held - aber das ist eine andere Geschichte.

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