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Gute-Nacht-Geschichten

Trudis letztes Ei

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von Wartan Bekeredjian

Henne Trudi ist alt und legt keine Eier mehr. Damit Trudi aber nicht in den Suppentopf wandert, haben die anderen Hühner einen Plan ausgeheckt.

Henne Trudi hatte große Angst. Mit letzter Kraft hatte sie vor einigen Tagen ein Ei gelegt. Nun war ihr Nest leer. Und sie wusste, dass es ihr letztes Ei gewesen war. Nie wieder würde sie eines legen können. Dazu war sie zu alt und zu schwach.

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Was aber würde aus ihr werden, wenn Bauer Alfred davon erfuhr? Erst vor einigen Monaten hatte die gute Gudrun keine Eier mehr gelegt. Als Alfred das bemerkt hatte, nahm er sie eines Morgens nach dem Füttern mit. Gudrun kam nie wieder und es ging das Gerücht um, dass Gudrun als Suppenhuhn geendet sei.

„Wir müssen etwas unternehmen!“, gackerte Gundula, Trudis jüngere Schwester. „Wenn Alfred in den nächsten Tagen herausfindet, dass Trudi keine Eier mehr legt, dann wird sie auch bald verschwinden, auf Nimmerwiedersehen! Das müssen wir um jeden Preis verhindern!“

Trudi saß traurig in ihrem Nest und hörte, wie die anderen Hühner zustimmend gackerten, aber keine hatte eine wirklich zündende Idee, wie sie helfen konnten.

Schließlich marschierten die Hühner schweigend durch den Stall. Manchmal erspähte eines ein Korn, das im Heu versteckt lag, und pickte im Vorübergehen danach. So verging der Tag und am Abend saß jedes Huhn in seinem Nest und dachte darüber nach, was wohl aus der armen Trudi werden würde.

Trudi schlief in dieser Nacht gar nicht und auch die anderen Hühner waren unruhig und rutschten auf ihren Plätzen hin und her. Und als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster auf den dicken Strohballen in der Ecke des Hühnerstalls fielen, hörten die Hühner dumpfe Schritte vor der Tür. Alfred kam, um die Eier einzusammeln.

Gundula gackerte laut und alle Hühner schreckten auf. „Schnell!“, rief Gundula. „Rauf auf den Strohballen! Vielleicht vergisst Alfred, welches Nest Trudis ist?“

In einem wilden Durcheinander folgten die anderen Hühner Gundulas Aufruf und noch ehe Alfred durch die Tür schritt, saßen alle Hühner auf dem dicken Strohballen.

„Was ist denn hier los?“, fragte Alfred, als er sah, was im Hühnerstall geschehen war.

Er schüttelte den Kopf und ging dann zu jedem Nest. Vorsichtig hob er die Eier heraus und legte sie in einen Korb. Vor Trudis Nest blieb er lange stehen. Sein Kopf senkte sich traurig Richtung Boden. „Ach, Trudi! Was mache ich bloß mit dir? Du legst ja schon seit Tagen keine Eier mehr.“ Dann ging er mit dem Korb unter dem Arm nach draußen.

Eine Grabesstille hatte sich im Hühnerstall ausgebreitet. Kein Huhn traute sich, etwas zu sagen, geschweige denn mit den Flügeln zu flattern. Alle versuchten, so unauffällig wie möglich zu Trudi zu schauen. Aber Trudi entging kein einziger Blick.

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Ganz betrübt hüpfte sie vom Strohballen. Kraftlos ließ sie ihre Flügel hängen, auf dem Weg zu ihrem Platz schleiften sie über den Boden. Mit einem Seufzer plumpste sie in ihr Nest und dachte daran, dass es demnächst wohl leer stehen würde, wenn sie gekocht im Suppentopf lag.

Eine Idee

„So einfach geben wir nicht auf, Trudi!“, rief Gundula und sprang ebenfalls vom Heuballen. „Ich habe auch schon eine Idee, wie wir Alfred austricksen können. Dann kann er unmöglich sagen, Trudi lege keine Eier mehr. Und sie wird bei uns bleiben!“

„Wie willst du das anstellen?“, fragte Regina. Vor Aufregung schlug sie heftig mit den Flügeln. „Legt alle heute Nacht ein Ei, den Rest will ich euch vor dem Morgengrauen verraten.“ Und so geschah es. Alle Hühner legten ein Ei, bis auf Trudi, die immer noch kraftlos zusammengesunken in ihrem Nest lag.

Sehr früh am Morgen scheuchte Gundula alle Hühner auf. Sie flüsterte ihnen etwas zu. Trudi verstand kein Wort. Es war ihr auch egal. Sollten die anderen doch ruhig ein Geheimnis vor ihr haben. Ihr Schicksal war besiegelt von dem Tag an, an dem sie keine Eier mehr legte.

Trudi hörte Geraschel, ein Huhn rief plötzlich: „Vorsicht!“, aber es kümmerte sie nicht. Trudi wartete darauf, dass Alfred kam, sie in einen kleinen Käfig sperrte und mitnahm. Und dann war es so weit.

Im Hühnerstall war es still. Schritte waren vor der Tür zu hören. Schließlich ein langes Knarren: Langsam schwang die Stalltüre auf. Alfred trat ein. Er blieb erstaunt stehen. Mit seiner linken Hand kratzte er seinen Hinterkopf und beobachtete die Hühner. Jedes lag in seinem Nest und schlief. Das konnte doch gar nicht sein!

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Vor dem Strohballen lagen - fein säuberlich aneinandergereiht - frisch gelegte Eier. Alfred ging zu Gundula, hob sie vorsichtig aus ihrem Nest und sah, dass es leer war. Er kontrollierte auch Regina und jedes andere Huhn. Irgendwann war er nicht mehr überrascht, wenn er ein leeres Nest fand. Vor Trudi jedoch blieb er stehen. Er wusste, dass ihr Nest leer war, und ließ sie sitzen.

Da ging Alfred ein Licht auf. Sanft streichelte er Trudi über den Kopf. „Hab keine Angst, du bleibst bei mir!“

Erstaunt über den Zusammenhalt der Hühner stand er auf, sammelte die Eier vorsichtig ein und verließ pfeifend den Hühnerstall.

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