Während des unerfüllten Kinderwunsches verändert sich unsere Sexualität und fast immer leidet sie. Das so schwarz auf weiß zu lesen, hätte uns als Paar damals, als wir in der Situation waren, sehr geholfen. Über die Auswirkung des unerfüllten Kinderwunsches auf unsere Sexualität hat niemand mit uns gesprochen. Das wollen wir, Alex und Romy Leberling von 'Zukunftsglück', hier ändern. Wir haben den unerfüllten Kinderwunsch in all seinen Facetten erlebt und teilen mit euch hier unsere Erfahrungen.
Auch wenn es zu Beginn vielleicht noch ganz aufregend ist, zu Zeiten des Eisprungs extra viel Sex zu haben, führt „Kalendersex“ mit der Zeit bei vielen Paaren zu einer Lustlosigkeit. Im Nachhinein betrachtet, kein Wunder.
Wir beide haben damals geplant und gerechnet und irgendwann eine Fruchtbarkeits-App ausprobiert. Mit dieser App haben die Farben rot, gelb und grün eine ganz neue Bedeutung in unserem Leben bekommen. Bei Rot war kein Sex „notwendig“ und irgendwann haben wir uns merkwürdigerweise daran gehalten.
Gelb war sehr wichtig für uns. Gefühlt „sollten“ wir uns an diesen Tagen nicht sexuell begegnen, denn gelb kündigt grün an und grün bedeutete, mit voller Power draufhalten. Irgendwann war Sex nur noch Mittel zum Zweck und diente einzig und allein der Reproduktion.

Lust und Genuss blieben für uns auf der Strecke
In einer unserer Podcast-Folgen haben wir schon mal ausführlicher besprochen, wie unterschiedlich Männer und Frauen das Thema "Termin-Sex" erleben. Typisch ist jedenfalls, dass man als Paar in einen Teufelskreis rutscht: Keine Fortpflanzung, keine Lust – keine Lust, keine Fortpflanzung.
Die Sexualität erfüllte ihre Fortpflanzungsfunktion nicht und erschien uns plötzlich sinnlos. Hinzu kam die Traurigkeit über den unerfüllten Kinderwunsch. Allein dies hat schon an manchen Tagen zu einer Lustlosigkeit geführt.
Um besser zu verstehen, warum wir mitunter sehr darunter leiden, wenn unsere Partnerin oder unser Partner keine Lust auf Sex hat, ist eines wichtig zu wissen: Sex ist die intimste Form der Kommunikation. Wir erfüllen so unser Bedürfnis nach Verbundenheit, Akzeptanz und angenommen sein. Sex gibt uns also das Gefühl von „Ich bin okay.“
Beim Termin-Sex während der Kinderwunschzeit wird Sexualität von ihrer eigentlichen Kommunikationsfunktion entkoppelt. Das macht unsicher. Man fragt sich: Bin ich gemeint oder will sich meine Partnerin, mein Partner gerade nur den Wunsch nach einem Kind erfüllen?
Während des Klinik-Marathons wurde es nicht besser
Nachdem nun Termine in unserem Sexleben eine Rolle spielten, wir unsere „Bettzeiten“ akribisch getimed haben, kamen plötzlich auch noch Ärzte und Ärztinnen ins Spiel.
Sie befassten sich mit ganz intimen Themen in jedem Detail, untersuchten alles Mögliche und schauten kritisch auf jeden von uns. Und das machte gehörig Druck. An dieser Stelle bemerken viele Männer auch, dass sie nicht auf Knopfdruck funktionieren – ja, auch die männliche Sexualität ist störanfällig. Hinzu kommen eventuelle Hormonbehandlungen der Frau, die sich auf die Libido auswirken können. Männer fühlen sich oft als passiver Begleiter und fristgerechter Samenspender, was sie verunsichert und entsprechende Auswirkungen auf ihre Lust haben kann.
Bei uns war es so: Unsere Sexualität, die uns immer viel Lebensenergie gegeben hat, veränderte sich. Und die Abwärtsspirale der negativen Gefühle bekam noch mehr Schwung. In der Kinderwunschklinik fühlten wir uns dann schließlich nur noch auf unsere Körperfunktionen reduziert: “Die Eizellenträgerin” und “der Spermaproduzent”.
Reproduktionsmedizin ist entkoppelt von Liebe, Sexualität und Partnerschaft – die gesamte nicht-somatische Ebene von Fortpflanzung wird hier nicht beachtet. Und der Gedanke, dass Fortpflanzung ohne natürliche sexuelle Begegnung gelingen sollte, war für uns damals sehr befremdlich.
Wir würden uns für alle Betroffenen wünschen, dass die Auswirkungen auf Sexualität und Partnerschaft von den Ärzten in den Kinderwunschkliniken ganz selbstverständlich aktiv angesprochen werden.
4 Tipps, für einen entspannten Umgang mit Sexualität im Kinderwunsch
Was könnt ihr nun tun, wenn ihr in eurer Partnerschaft an einem ähnlichen Punkt seid? Wir haben euch dazu ein paar Tipps zusammengestellt, wie ihr mit der Situation gut umgehen könnt:
1. Offen über Wünsche und Gefühle sprechen
Wie bei allen Paar-Herausforderungen hilft auch hier in erster Linie Kommunikation. Fragt eure Partnerin oder euren Partner einfach mal danach, wie sie/er die aktuelle Phase empfindet – auch bezogen auf die gemeinsame Sexualität.
Wenn wir von Kommunikation sprechen, geht es natürlich auch um Fragen – und ehrliche Antworten. Hier ein paar konkrete Beispiele für Fragen, die ihr euch zunächst selbst stellen und anschließend mit eurem Partner dazu in den Austausch gehen könnt:
- Wie fühle ich mich gerade? Wie geht es mir mit unserer Sexualität?
- Welches Bedürfnis habe ich?
- Was wünsche ich mir von dir?
- Was in unserem sexuellen Leben ist so wertvoll, dass wir es unbedingt bewahren und pflegen möchten – auch jetzt auf unserem Kinderwunschweg
2. Den Perspektivwechsel wagen und neue Verbindung zulassen
Uns hat damals ein bewusster Perspektivwechsel sehr geholfen und genau dazu raten wir heute auch vielen unserer Coaching-Klientinnen und -Klienten, um den Teufelskreis aus Versagensgefühlen und Lustlosigkeit zu durchbrechen: Weg vom Problemfokus hin zu den positiven Aspekten.
Nehmt bewusst wahr, was eigentlich alles prima funktioniert – in eurem Leben, in eurer Paarbeziehung und in der sexuellen Begegnung.
Schaut hier nicht auf das vielleicht gerade ausbleibende Feuerwerk, sondern wertschätzt ruhige, verbundene, auf den ersten Blick vielleicht ganz unspektakuläre intime Momente. Der Kinderwunsch mit all seinen Herausforderungen bringt euch letztlich auch näher zusammen. Euch verbindet etwas Großes und das Bewusstmachen dieser starken Verbindung kann zu einer neu belebten Sexualität führen.
3) Bewusst zwischen Zweck-Sex und Lust-Sex unterscheiden
Vielen unserer Klienten und Klientinnen hat es geholfen, bewusst zwischen zweck- und lustorientierter Sexualität zu unterscheiden. Das heißt, dass sie außerhalb der Zeit um den Eisprung versuchen, ganz bewusst, eine lustorientierte Sexualität zu leben. Etwa indem sie Neues ausprobieren oder mit Praktiken, in denen sie sich einfach fallen lassen können - zum Beispiel beim Slow Sex, der tiefe Nähe schaffen kann und die sexuelle Spielwiese vergrößert. Und im Gegensatz dazu wird es rund um den Eisprung dann „formeller“ weil es ja - fast wie bei einem Job – terminabhängig ist.
4) Einen passenden Ausgleich für die Kommunikationsfunktion von Sex suchen
Zum Schluss kommen wir nochmals darauf zurück, dass Sexualität Kommunikation ist. Deshalb: Sucht euch bei „Kommunikationsproblemen“ eine für euch passende Alternative, die die Verbundenheit, die ihr sonst durch Sex erlebt, auf anderen Wegen stärkt. Wenn es bei Sex im Kern um Akzeptanz, Zugehörigkeit und Angenommen sein geht, überlegt einmal, wie ihr euch dieses Gefühl auch unabhängig von sexuellen Begegnungen gegenseitig zeigen und fühlen lassen könnt. Bei manchen Paaren ist es das Pflegen von gemeinsamen Ritualen, bei anderen zum Beispiel das Schenken kleiner Gesten und Aufmerksamkeiten.
Wie auch immer eure individuelle Lösung dafür aussieht: Ein positiver Einfluss auf euer Sexleben ist inklusive!
Wenn ihr noch am Anfang eurer Kinderwunsch-Reise steht, dann hilft euch dieser Überblick zu den Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung und Therapien weiter.
Die Gastautoren
Romy und Alex Leberling haben als Paar den unerfüllten Kinderwunsch in seinen verschiedenen Facetten erlebt. Sie haben so ihre Berufung gefunden und begleiten als Coaches mit ihrem Social-Impact-Start-Up Zukunftsglück ungewollt kinderlose Menschen (Einzelpersonen und Paare) dabei, ihren ganz persönlichen Weg im Umgang mit dem Thema zu finden. Beide haben ihre professionelle Qualifikation als Coaches mit ihrer persönlichen KiWu-Erfahrung zusammengebracht, um andere Betroffene zu unterstützen. In ihrem Podcast findet ihr viele weitere Inspirationen und Erfahrungsberichte.
Bildquelle: Getty Images/silverkblack,
Autor*innen-Bild: Frauke Rühl