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Chaos pur?

Antiautoritäre Erziehung: Hat der Erziehungsstil auch Vorteile?

Antiautoritäre Erziehung
© Getty Images / filadendron

Keine Regeln, keine Grenzen: Die antiautoritäre Erziehung stellt die freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ohne Einschränkung an die erste Stelle. Das mündet im Chaos? Meistens ja. Deswegen gibt es mittlerweile kaum noch Eltern, die ihre Kids so aufwachsen lassen. Dennoch haben sich aus der antiautoritären Erziehung durchaus moderne Erziehungsprinzipien entwickelt, nach denen viele Familien heute leben.

Was ist antiautoritäre Erziehung?

Der antiautoritären Erziehung liegt das Ideal zugrunde, dass der Mensch grundsätzlich gut ist, wenn sich seine Persönlichkeit frei von Zwängen entfalten darf. Deswegen gehören zu den Erziehungsprinzipien:

  • Keine Vorschriften: Erwachsene sollen Kindern nicht sagen, was sie tun sollen. Stattdessen liefern sie Vorschläge, aus denen die Kinder selbst wählen dürfen. Die Folgen ihrer Entscheidungen müssen die Kinder dann aber auch selbst tragen.
  • So wenig Grenzen wie möglich. Um die freie Entwicklung der Kinder nicht zu behindern, gibt es möglichst wenige Grenzen. Nur bei Gefahr sollten Erwachsene eingreifen.
  • Kommunikation auf Augenhöhe: Eltern und Kinder sind vollkommen gleichberechtigt, es gibt keine Hierarchie. Deswegen lassen sich manche Eltern von ihren Kids mit Vornamen statt mit "Mama" und "Papa" ansprechen.
  • Freundliches, respektvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
  • Kinder sollen soziale Konflikte untereinander selbst lösen.
  • Es gibt keine Strafen.
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Welche Ziele verfolgt die antiautoritäre Erziehung?

  • Freies Entwicklungspotenzial der Kinder
  • Frühe Selbstständigkeit fördern
  • Förderung von Kreativität
  • Verantwortungsbewusstsein der Kinder ausbilden

Geschichte der antiautoritären Erziehung in Deutschland

Antiautoritäre Erziehung ist eine Erziehungsphilosophie, die in den 1960er und 70er Jahren im Umfeld der Studentenbewegung in Deutschland entstand. Die Generation der 68er wurde von ihren durch den Zweiten Weltkrieg geprägten Eltern meist autoritär erzogen. Die Eltern forderten Disziplin und Gehorsam mit aller Härte und oft mit Gewalt ein. In diesem restriktiven, patriarchalischen Erziehungsstil sahen die 68er eine Mitursache von Faschismus und Nationalsozialismus und distanzierten sich sehr stark davon. Ihre eigenen Kinder wollten sie genau gegenteilig erziehen, um ihnen eine freie Entwicklung ohne Zwänge zu ermöglichen und damit eine positive Gesellschaft zu formen.

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Im Deutschland der 1960er Jahre wurden Kindergärten noch sehr autoritär geführt, nicht selten auch von Nonnen. Diese Einrichtungen waren mit den Prinzipien der antiautoritären Erziehung natürlich nicht vereinbar. So mieteten junge Eltern in West-Berlin leerstehende Ladengeschäfte an, um dort ihre Kinder nach den neuen Idealen betreuen zu lassen – die sogenannten "Kinderläden" entstanden. Parallel gründeten sich auch freie Schulen, die sich ebenfalls von einem autoritären Erziehungsstil abwandten. Als bekannteste und älteste Schule dieser Art gilt die "Summerhill School" in England.

Vorteile antiautoritärer Erziehung

  • Frühes Verantwortungsbewusstsein
  • Frühe freie Persönlichkeitsentwicklung
  • Durch antiautoritäre Erziehung entstehen gleichberechtigte Dialoge zwischen Eltern und Kindern, wodurch die Kids später rhetorisch oft sehr fit sind
  • Kinder fühlen sich ernstgenommen und wertgeschätzt

Nachteile und mögliche Spätfolgen antiautoritärer Erziehung

  • Kinder handeln nur nach dem Lustprinzip, machen also nichts, was keinen Spaß macht, z. B. Hausaufgaben
  • Kinder haben Probleme mit Autoritäten und dadurch in Schule, Job etc. Schwierigkeiten
  • Wenn es gar keine Grenzen und Regeln mehr gibt, besteht die Gefahr, dass die Kinder egoistisch werden, da sie nur auf ihre eigenen Bedürfnisse fokussiert sind
  • Die Kinder sind nicht kritikfähig

Was ist der Unterschied zwischen antiautoritär und Laissez-faire?

Achtung: Die antiautoritäre Erziehung und der Laissez-faire Erziehungsstil (zu deutsch: "machen lassen") sind nicht dasselbe! Richtig ist, dass das Kind bei beiden Stilen keine bzw. sehr wenige Regeln befolgen muss. Allerdings sind die Beweggründe dafür andere: Laissez-faire resultiert aus einer gleichgültigen Haltung der Eltern, bei dem das Kind sich selbst überlassen bleibt. Die Eltern kümmern sich kaum um das Kind, halten sich aus seinem Leben weitgehend heraus, spielen also auch nicht mit ihm. Der antiautoritäre Erziehungsstil verfolgt hingegen das Ziel, dass das Kind seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Die Eltern kümmern sich dabei liebe- und respektvoll um das Kind.

Kritik an der antiautoritären Erziehung

In den 1960er und 70er Jahren haben viele Eltern die Methodik der antiautoritären Erziehung in einer extremen Form angewandt. Das hat dazu geführt, dass sie heute einen ziemlich schlechten Ruf hat. Die Kritikpunkte lauten:

  • Die antiautoritäre Erziehung ist nicht gleichberechtigt, weil der Wille des Kindes übergeordnet ist. Dadurch entsteht wiederum eine Hierarchie: Das Kind steht über dem Erwachsenen.
  • Wenn nur die freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes fokussiert wird, kann dieses Probleme haben, sich in einen anderen Menschen einzufühlen und dessen Grenzen zu respektieren.
  • Dass Kinder sich frei entscheiden sollen, ist schwierig, da sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung noch nicht abschätzen können.
  • Ohne Grenzen und Regeln sind die Kinder orientierungslos und überfordert.
  • Wenn Eltern sich so wenig in der Erziehung einbringen, besteht die Gefahr, dass die Kinder vernachlässigt werden.

Antiautoritäre Erziehung heute

Die Nachteile und Kritikpunkte an der antiautoritären Erziehung haben dazu geführt, dass nur noch sehr wenige Eltern diese Erziehungsphilosophie tatsächlich in Reinform anwenden. Dennoch hat die antiautoritäre Erziehung dazu geführt, dass das Wohl des Kindes mehr in den Mittelpunkt rückt. So ist sie die Grundlage der demokratischen, emanzipatorischen oder auch liberalen Erziehungsstile, nach der viele Familien heute leben. Auch die allermeisten Kitas, Sportvereine und Schulen werden nach einem demokratischen Leitbild geführt. Zu den Eckpfeilern dieser Erziehung gehören:

  • Es gibt Regeln – die Eltern oder Erzieher*innen erklären diese aber dem Kind und sie können ggf. diskutiert und evtl. angepasst werden.
  • Respekt- und liebevoller Umgang mit den Kindern.
  • Eine "Ja-Umgebung" wird geschaffen. In dieser können sich die Kinder frei bewegen und sie erkunden, ohne Gefahren ausgesetzt zu sein und es müssen nur wenige Verbote ausgesprochen werden.
  • "Beziehung statt Erziehung": Der bekannte Pädagoge Jesper Juul hat diesen Ausspruch geprägt und viele Eltern handeln heute ganz intuitiv danach. Hier könnt ihr mehr darüber lesen:
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Erziehung ist also ein ziemlich komplexes Thema, bei dem der Mittelweg oft der richtige ist. Die 8 wichtigsten Erziehungsstile im Überblick seht ihr in unserem Video:

Erziehungsstile: Diese acht Ansätze gibt es
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