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Exklusiv-Interview

Florian David Fitz zu "Oskars Kleid": "Da ist jemand, dessen Leben aus den Fugen ist"

Interview Oskars Kleid Florian David Fitz

Als ich den Trailer für "Oskars Kleid" im Kino gesehen habe, war ich skeptisch. Ein Film über ein Kind, das gern Kleider trägt und ein Vater, der damit große Probleme hat, was ist daran neu? Vermutlich ist das Alltag in vielen Familien. Was den Film so besonders macht, habe ich mit Drehbuchautor und Hauptdarsteller Florian David Fitz im Interview besprochen.

"Oskars Kleid" im Kino

Kurz für alle, die den Trailer noch nicht gesehen haben: In "Oskars Kleid" geht es um ein Kind, dass sich als trans* Mädchen identifiziert. Geboren wurde sie als Oskar, und während ihre Mutter und deren neuer Partner das akzeptieren, sieht es bei Papa Ben, gespielt von Florian David Fitz, ganz anders aus. Der Polizist lebt sehr einsam und hat kaum Bezug zu seinen Kindern. Zu Beginn des Films liegt seine Ex-Frau im Krankenhaus, schwanger vom neuen Mann, und plötzlich will Ben seine bis dahin vernachlässigte Vaterrolle wieder ausfüllen. Was er nicht weiß: Sein Kind Oskar ist eigentlich Lilli und trägt gern Kleider. Das tut sie auch in der Schule, die sie als trans* Mädchen besucht.

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Ich will an der Stelle nicht zu viel vorwegnehmen, aber mein erster Gedanke beim Schauen des Films war: Warum muss "Oskars Kleid" ein Film über Trans*identität sein? Warum hat es Drehbuchautor und Hauptdarsteller Florian David Fitz nicht gereicht, einen Film zu drehen über einen Jungen, der gern Kleider trägt. Es ist ja nicht so, dass nicht auch kleidertragende Jungs es ist der Gesellschaft schwer haben.

Florian David Fitz: Aber dann wäre der Film mit der Aussage, dass Oskar gerne Kleider trägt, ja auch zu Ende. Dann regen sich die Leute auf: "Oh, der trägt ein Kleid" und das wars. Aber der Film geht einfach um trans.

"Oskars Kleid" ist nur die Spitze vom Eisberg, der Anfang von allem für den Vater Ben. Es geht nicht nur um ein Kind, das ein Kleid nicht ausziehen möchte. Den anderen Film kannst du ja noch machen, ich schau ihn mir gerne an. (lacht)

Daneben war mir die Perspektive des Vaters wichtig, ich wollte quasi jemanden von der Straße, der sich wie viele Bürger da draußen noch nie Gedanken über das Thema gemacht hat. Ich wollte keine Introspektive machen, wie es ist, trans zu sein, sondern ich wollte zeigen: Dieses Kind sagt das und hat überhaupt kein Problem, das steht wie ein Fels in der Brandung und alle anderen werden meschugge, alle familiären Konflikte brechen aus und kommen auf den Tisch und vielleicht gesundet gerade daran die Familie.

Meine Erfahrung ist aber auch, weil trans* sein so ein Thema ist, dass die Gesellschaft insbesondere Jungen, die vielleicht einfach nur Lust auf einen erweiterten Kleiderschrank haben, sagt: Jetzt musst du dich aber entscheiden. Bist du trans*? Dann darfst du Kleider anziehen. Oder bist du ein Junge? Dann zieh das Kleid aber aus.

Ja, aber das ist ein anderes Thema. Es ist ein interessantes Thema, aber nicht das vom Film. Oskars Kleid ist ja nur das Symbol. Es geht viel mehr um Oskars Vater, der tiefer und tiefer hineinrutscht und merkt, was eigentlich los ist.

Aber du hast recht mit der Frage: Warum haben wir sofort den Druck, uns zu definieren? Die Antwort ist in meinen Augen: weil wir das brauchen. Wir alle hassen Schubladen, aber wir benötigen sie auch. Wir müssen uns gegen irgendwas auflehnen können. Sonst drehen wir uns jeden Tag nur um uns selbst und denken darüber nach, wer wir sind.

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Wir sagen uns irgendwann: Ok, so bin ich, das wird mir zugeschrieben und dann ist das auch erledigt. Niemand will sich die ganze Zeit damit auseinandersetzen. Und dann ist da aber auch der Gegenwunsch möglichst frei zu sein. Wir leben alle mit diesen zwei Bedürfnissen.

"Oskars Kleid" und Georgette Dee

Aber gegen diese Zuschreibungen kämpfen manche eben an. Nur sind die deswegen ja nicht automatisch trans*. Es kann doch auch sein, dass man einfach gern bestimmte Sachen anzieht. Und dann ist man irgendwie dazwischen und soll sich entscheiden, wo es nichts zu entscheiden gibt.

Ich habe schon das Gefühl, dass dieses dazwischen leichter ist. Aber vielleicht hast du recht und es greift zu kurz. In der Klasse meiner Nichten und Neffen, da gibt es auch trans Kinder und Kinder, die sagen "Ich bin anders". Darüber können wir auch diskutieren, denn man hat schon auch das Gefühl, das ist eine Art von Modeerscheinung. Ich will trans sein nicht verharmlosen. Natürlich gibt es trans Kinder. Ob die, die es von sich sagen, nun wirklich alle trans sind, das wissen wir nicht. Aber die haben sich entschieden. Über die Leute, die dazwischen sind, über die sprechen wir vielleicht zu wenig.

In "Oskars Kleid" haben wir jemanden, der dazwischen ist, Georgette Dee. Sie spielt im Film eine trans Frau. Mir war es wichtig, jemanden dabei zu haben, der alt ist und weise und ok und schön und so gelebt hat. Sodass meine Figur Ben kurz zur Ruhe kommt und sehen kann: Hey, es geht! Man kann in Würde leben.

Georgette kommt aus einer anderen Generation. Wenn du mit ihm über das Thema und diese Debatte sprichst und fragst, Mann, Frau und so weiter, wie siehst du das eigentlich? Dann fängt Georgette an zu gähnen. "Mach doch einfach", ist dann die Antwort.

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Lilli macht auch einfach. Sie besucht die Schule als Lilli, da ist sie akzeptiert und wird gemocht. Bis sie sich Ben zuliebe, dafür entscheidet, dort als Oskar aufzutreten. Und alle wenden sich von ihr ab.

Ich fand genau das spannend zu zeigen, wie es sich dreht und zwar anders als man denkt. Ben versucht zu helfen und kreiert dabei nur Probleme. Weil er nur eine Sichtweise kennt. Er hat nur gelernt, sich durchzubeißen, das ist seine Welt. Er hat immer kämpfen müssen, also musst du auch kämpfen. Wenn dich jemand angreift, dann verteidige dich. Und das macht Oskar ja auch sehr erfolgreich.

trans* Kinder und die Pubertät

In der Tat. Oskar/Lilli hat eine wahnsinnige Stärke in sich, sie ist sehr klar in ihren Wünschen und Erwartungen.

Das war mir eben auch wichtig, dass an der Figur nichts opfermäßig ist. Wenn man mit Psychologen spricht, ist es oft so, dass Kinder vor der Pubertät da sehr selbstverständlich und klar sind, sodass die Eltern mit den Ohren schlackern. Das ist erst mal ganz unproblematisch, die Probleme kommen dann später in der Pubertät und danach. Das ist nachvollziehbar und ich fand, es war etwas, das noch nicht erzählt wurde. Der Film zeigt eben nicht: So geht's dem Jugendlichen und so geht's durch die Teenagerjahre. Sondern: Was passiert mit den anderen?

Die haben damit zu kämpfen und müssen gleichzeitig Entscheidungen treffen. Denn Eltern müssen schon vor der Pubertät wissen, wie es mit ihrem Kind weitergehen kann.

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Du hast ein Dilemma. Du kannst es nicht richtig machen als Eltern. Ich habe immer gedacht: Ist doch cool, jetzt haben wir die Hormone. Du kannst es jetzt aufhalten, bis das Kind alt genug ist, sich zu entscheiden. Dann heißt es aber, dass das Kind nie Kinder bekommen kann. Es ist tricky.

Starke Kinder

Stärke ist gerade für Eltern ein wichtiges Thema. Wie macht man denn Kinder stark dafür, in dieser Welt zu bestehen?

Es sind immer zwei Sachen. Du musst einerseits deinen Kindern beibringen, dass sie sich verteidigen können müssen. Auf der einen Seite muss man stark sein und auf der anderen Seite weich bleiben. Das ist etwas, mit dem wir den Rest unseres Lebens kämpfen.

In den Teenagerjahren musst du cool und witzig und stark sein und deine Mechanismen lernen und dann verbringst du den Rest deines Lebens damit, die wieder zu entlernen. Aber das ist wahrscheinlich auch ganz normal. Ich glaube dieser Wunsch, dass wir den Stein der Weisen finden, dass plötzlich alles gut ist und die Gesellschaft perfekt funktioniert, das klappt nicht. So sind wir nicht. Das ist Gotteslästerung zu glauben, irgendwann sind wir mal perfekt.

Und weil wir alle unperfekt sind, hat auch Ben so viele Probleme? Denn er hat ja wirklich sehr zu kämpfen.

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Aber all die Probleme kommen aus einem ganz normalen Problem, das ganz viele Familien kennen. Die Eltern sind geschieden und Ben hat einen Moment nicht verstanden, dass er die Familie in dem Moment, als sie da war, nicht gelebt hat. Und jetzt läuft er dem hinterher. Er ist einsam und versucht, seine Familie zurückzubekommen. Und alles, was passiert und was ihn beschäftigt, hat da seinen Ursprung.

Natürlich entdeckst du später, dass er aus einem Elternhaus kommt, was völlig anders ist als erwartet und plötzlich checkst du: Er hat ja die Erwartung seiner Eltern auch nicht unbedingt erfüllt und das ist eine ähnliche Situation. Es ist nicht noch ein Problem, was dazu kommt, sondern die Zuschauer entdecken, wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist. Da ist jemand, dessen Leben aus den Fugen ist. Und am Ende ist das, was mit dem Kind passiert, das Beste, was ihm passieren konnte. Das zu zeigen, das war mein Wunsch.

Es geht um Repräsentanz

Verlangst du nicht ganz schön viel von den Zuschauenden? Ich gendere zum Beispiel in all meinen Artikeln und bekomme dafür regelmäßig Kritik.

Ehrlich gesagt, dadurch, dass Ben ein Typ von der Straße ist, verlange ich eigentlich nicht zu viel. Ich setze nicht voraus, dass du alles wissen musst, dass du die Debatte in all ihren Feinheiten kennst. Der Zuschauer kann mit Ben reingehen und das entdecken.

Mit dem Gendern verlangen wir natürlich viel. Es ist so ein krasser Eingriff in die Sprache und wir haben noch nicht wirklich nen eleganten Weg gefunden, damit klar zu kommen, wenn wir ehrlich sind. Insofern verstehe ich schon, dass man sagt, nee, also ist das jetzt das Nonplusultra?

Aber es ist wichtig. Es geht ja um Repräsentanz, bei Sprache und in deinem Film.

Gesehen zu werden, ist wichtig, ja. Da bin ich froh, wenn die Debatte offenbleibt. Ich denke manchmal, sie ist wichtig, aber kämpft doch nicht die ganze Zeit um die Sprache. Sprache hat die Möglichkeit, alles zu transportieren. Und ich kann gendern und trotzdem noch Leute dissen. Intention ist genauso wichtig wie die Form. Lasst uns offen bleiben.

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"Oskars Kleid" fördert Empathie

Ich war ja nach dem Trailer eher zwiegespalten, und glaube, dass ich damit nicht allein bin. Was sind denn die Reaktionen, die du dir für "Oskars Kleid" erhoffst und was sind die, mit denen du rechnest?

Vor sechs, sieben Jahren hätte ich gesagt: Wir machen nur Filme, es ist keine rocket science, wir retten niemandem das Leben. Jetzt habe ich wirklich das Gefühl, das ist viel wichtiger als ich immer dachte. Denn für 90 Minuten kannst du in Bens Schuhen laufen. Du fängst in der Mitte an, mit ihm zu heulen, mit ihm zu lachen und ehe du dich versiehst, geht das Licht wieder an und du hast die Welt für eine Weile mit anderen Augen gesehen.

Und das fördert Empathie für alle Situationen. Ich finde das gerade jetzt so wichtig. Im Moment hat man nicht das Gefühl, dass Leute die Position nicht so gern wechseln. Deswegen denke ich mir: Doch das hier ist wichtig.

Das einzige, was ich mir erhoffe, ist, dass möglichst viele Leute in den Film gehen. Denn dann macht der Film sein Ding. Die Sicherheit habe ich, ich bin da ganz selbstbewusst. Ich will nur, dass die Leute da reingehen.

Man hat immer so Angst vor der reaktionären Seite, aber ich glaube, die werden gar nicht reingehen in den Film. Aber die aufgeklärte Seite die schon so viele Vorbedingungen hat, die eine Erwartung haben, was sie sehen wollen. Was ist der Anspruch an den Film? Ich erzähle diese Geschichte und du kannst dich in ihr treffen.

Kritik zu "Oskars Kleid"

Ich liebe Filme und finde den Ansatz von Florian David Fitz zu sagen: Wechsel doch mal die Perspektive, lass dich darauf ein, total wichtig. Wir alle kreisen viel zu sehr um uns selbst. Ich fühlte mich während des Interviews, wie vielleicht auch einige von euch jetzt beim Lesen ertappt. Denn es stimmt natürlich, der Film, den der Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler gemacht hat, ist nicht der, den ich erwartet hatte. Aber das macht ihn ja nicht zu einem schlechteren Film, sondern zu einem, an dem ich mich reiben und von dem ich etwas lernen kann. Wir kreisen viel zu oft um uns selbst und unsere Vorstellung davon, wie irgendetwas zu sein hat, statt uns einfach darauf einzulassen.

Überfordern mich Bens Probleme im Film trotzdem ein wenig? Ja, durchaus. Aber das ist ok, daran kann ich mich stören und vielleicht auch einfach froh sein, dass mein eigenes Leben ganz anders verläuft. Denn es schult unsere Empathie, offen zu sein für andere. Gerade in diesen Zeiten ist das aber etwas, was extrem wichtig ist.

"Oskars Kleid" läuft ab 22. Dezember 2022 überall in den Kinos.

Ihr wollt noch mehr über "Oskars Kleid" erfahren und sehen, was Florian David Fitz noch zu erzählen hat? Da wir das Interview mitgefilmt haben, findet ihr weitere Antworten im Video:

Florian David Fitz im Interview über seinen Film “Oskars Kleid”
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Bildquelle: 2021 PANTALEON Films GmbH / Erfttal Film- und Fernsehproduktion GmbH & Co. KG / Warner Bros. Entertainment GmbH

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