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Exklusiv-Interview

Janin Ullmann und Jerry Hoffmann über neue Held*innen und Patchworkfamilien

Janin Ullmann und Jerry Hoffmann über Maurice der Kater

Seit dem 9. Februar läuft "Maurice der Kater" endlich in den Kinos. Im Mittelpunkt des Animationsfilms stehen der gerissene Kater Maurice, eine Bande Ratten mit den vielleicht besten Namen aller Zeiten und der Waisenjunge Keith. Wir haben uns mit den Schauspieler*innen und Synchronsprecher*innen Janin Ullmann (spricht Ratte "Nahrhaft") und Jerry Hoffmann (spricht Keith) zum Interview getroffen.

Eine Rattenbande, die mit einer Katze und einem Waisenjungen gemeinsame Sache macht? Was ist denn da nur los? Der neue Kinofilm "Maurice der Kater" basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Fantasy-Autor Terry Pratchett. Fans der Scheibenwelt-Romane sollten sich den Film also auch nicht entgehen lassen. Ihr werdet vermutlich viel Spaß mit dieser ganz besondere Familienbande haben.

Der Sicherheitshinweis der Ratten im Film lautet: „Friss keine Ratte, die eine Ratte gefressen hat, die etwas gefressen hat, dass sie umgebracht hat.“ Was ist euer wichtigster Sicherheitshinweis fürs Leben?

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Janin Ullmann: Einfach machen. Natürlich sollte man vorher auch darüber nachdenken,
was man da so tut und darauf achten, dass niemand dabei zu Schaden kommt. Aber man kann im Leben auch mal loslaufen und mutig sein, auch ohne großen und fertigen Plan.

Jerry Hoffmann: Da schließe ich mich absolut an. Und ich rate zusätzlich, dem eigenen Instinkt zu folgen, selbst wenn das Umfeld, die Gesellschaft oder die Familie was anderes denkt.

Auf der Suche nach sich selbst

Keith sucht ja seine Rolle im Leben noch. Erst mal, finde ich, bestimmen die anderen über ihn. Wie schafft man es denn gut durchs Leben zu kommen und auf sich aufzupassen, wenn man noch so auf der Suche ist?

Jerry: Das ist eine schöne Frage. Als fremdbestimmt empfinde ich ihn nicht. Aber natürlich ist er in seiner Grundhaltung, in diesem charmant und irgendwie unsicher sein, auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: “Wer bin ich eigentlich und was ist meine Bestimmung in dieser Welt?” Das finde ich, ohne viel spoilern zu wollen, dafür, dass er die Heldenfigur der Geschichte ist und auch eine große Heldenreise vor sich hat, so ein schönes Bild für junge Menschen. Die können hier sehen: Ich kann auch ein Held sein, selbst wenn ich nicht so aussehe, wie man glaubt, dass ein Held aussieht.

Das finde ich toll an dieser Figur. Da schließt es natürlich an zu raten: Glaub an dich und an deine Talente. Manchmal kann auch erst die Liebe zu jemand anderem dich dazu führen, die Liebe für dich selber zu finden. Das ist eine Parabel, die ich total schön finde. Unter anderem deswegen finde ich den Film auch so aktuell und zeitgemäß.

Starke weibliche Hauptfiguren

Lasst uns mal über Malizia sprechen. Es gibt, finde ich, viel weniger tolle weibliche Heldinnen als männliche. In diesem Film ist das anders, da gibt es mit Malizia eine tolle starke Erzählerin und Hauptfigur. Und dann gibt es Keith, der auch der Held ist, sich aber nicht in die erste Reihe drängt, sondern ihr zur Seite steht.

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Jerry: Ich glaube tatsächlich, dass es sowohl für Jungen als auch für Mädchen gleich viele
Heldenfiguren gibt. Und es gibt auch gleich viele problematische. Es gibt sowohl die Prinzessin als auch den Helden, der bloß keine Gefühle zeigen und bloß nicht unsicher sein darf, en masse. Das Nonbinäre, das Dazwischen, damit beschäftigen wir uns noch gar nicht.

Wir haben hier eine männliche Figur, die unsicher ist, zurücktritt, vorsichtig ist und charmant. Und dann gibt es eine Frauenfigur, die nach vorne geht und sagt: Ich mach jetzt einfach mein Ding, ich bin selbstbestimmt und lass mir von niemanden was sagen. Das finde ich total wichtig an diesem Film und auch gut, dass das erzählt wird. Ich wünsche mir, dass das für viele Familien ein Film ist, in den Eltern mit ihren Kindern reingehen, weil sie sagen, guck mal, das und das ist auch für dich, das kannst du auch sein.

Sichtbarkeit von Frauen

Aber daran anschließend finde ich es auch so wichtig zu hinterfragen, warum es dieses Konstrukt gibt, dass Mädchen sich nur mit Mädchen identifizieren und Jungen mit Jungen.

Jerry: Genau deswegen habe ich diese Binarität noch mal beschrieben. Du kannst dich ja in jeder Figur in irgendeiner Form wiederfinden.

Janin: Ich setze mich sehr für die Sichtbarkeit von Frauen ein, auch in meinem Podcast Female Finance. Wie werden Frauen z.B. in Filmen dargestellt? Meistens, indem sie ohne eigene Identität, oder Ziel durchs Leben gehen, sich die ganze Zeit Gedanken um einen Mann machen, oder hauptsächlich über Männer reden. In Animationsfilmen ist die Prinzessin oft in rosa Tüll getaucht und wartet darauf, dass der Prinz sie rettet. Es sind diese immer wiederkehrenden Genderklischees, mit denen viele von uns aufgewachsen sind, so auch ich. Das ist aber zum Glück nicht das Leben. Genau deswegen
brauchen wir auch im Film Vorbilder, die uns selbstbestimmte, unabhängige Frauen zeigen, damit junge Frauen ihnen nacheifern können, wenn sie wollen, oder einfach nur wissen, dass das für Frauen möglich ist.

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Jerry: Das finde ich auch. Ein Gedanke noch zum Familienbegriff bei „Maurice“: Wir haben eine ganz spannende Patchworkfamilie in dem Film. Keith wird beschrieben als Waisenjunge, wir haben eine Katze, dessen Katzenfamilie wir nicht kennen, wir haben Malizia, wo wir auch nicht wissen, wo sie eigentlich herkommt. Und wir haben diese Gruppe von Ratten. Diese unterschiedlichen Ratten, die Katze, Keith und Malizia bilden ihre eigene Dynamik, ihre eigene Patchworkfamilie und schaffen es durch Liebe, Vertrauen, Andersartigkeit, sich zusammen als Community zu definieren.

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Peergroups für Teenager

Genau das mit der Ersatz- bzw. Patchworkfamilie finde ich am Film auch spannend. Denn gerade für Jugendliche, die auf der Suche sind, ist der Freundeskreis enorm wichtig und meist eine Ersatzfamilie. Das wird von Erwachsenen oft gar nicht so wertgeschätzt.

Jerry: Ja, total. Und es ist auch wichtig für alle jungen Menschen, die sich nicht zugehörig fühlen in der Gruppe, in der sie zugewiesen sind. Also für jeden, der sagt: “Ich bin auf der Suche“ haben wir hier auch eine Gruppe von Outsidern, die sagen, ich definiere meine Familie selber und egal, was mir von dieser Welt gegeben worden ist, ich lasse mich davon nicht limitieren. Das ist doch ein schönes Bild. Wir kommen jetzt langsam da an, dass dieser Familienbegriff, der immer sehr klassisch gewesen ist, sich auch aufbricht und man sagen kann: Ich kann auch eine Wahlverwandtschaft, eine Wahlfamilie haben. Und auch wenn wir nicht genetisch miteinander verwandt sind, kannst du meine Tante sein.

Janin: Ich habe in meiner Familie auch einen jungen Mann, der momentan auf der Suche ist. Wir reden viel miteinander, wo es für ihn hingehen und was das Richtige sein könnte. Ist das jetzt das Studium, was er wirklich durchziehen will oder will er doch was ganz anderes machen? Ich glaube, für junge Menschen ist es gerade gar nicht so einfach, einen Weg für sich zu finden. Wir überlegen dann, wie es wäre, wenn er das macht, was er richtig gerne macht, ob man daraus vielleicht einen Beruf machen kann. Auch dann, wenn man vielleicht gar nicht von Anfang an sagen würde: Ach so, damit kann man
Geld verdienen. Die Frage ist doch: Wie finde ich meinen eigenen Weg? Und ich glaube daran, dass das funktionieren kann, wenn man sich überlegt, für was man eine große Leidenschaft hat.

Brauchen wir neue Vorbilder?

Diese Freiheit ist eine Herausforderung. Gleichzeitig merke ich aus meinem persönlichen Erleben heraus aber auch, dass es noch so viele Schranken in den Köpfen gibt. Einerseits steht uns die Welt offen und in der Theorie können wir alles machen, was wir wollen, auf der anderen Seite werden wir total limitiert, wenn wir Dinge abseits der Norm tun, wenn wir uns beispielsweise über Kleidung ausdrücken oder einfach nur wir selbst sind. Das ist doch ein total schwieriger Zwiespalt, aus dem wir noch keinen Ausweg gefunden haben.

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Janin: Genau deswegen finde ich, braucht man Vorbilder. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen platt, aber jemand wie beispielsweise Harry Styles ist doch ein gutes Vorbild für viele für Jungen und Mädchen. Gerade in Bezug eine neue Art von Männlichkeit, wie
man sich ausdrücken möchte, wie man sein will und dass man zu sich stehen darf und sollte.

Jerry: Ich finde es total richtig, was du sagst. Ich glaube tatsächlich, dass man natürlich als Elternteil nur begrenzt viel machen kann, wenn man Kinder in einer Gesellschaft großzieht, die diese Ideale nicht vorgibt. Aber deswegen sind wir gerade im Umbruch. Das hat angefangen mit Black Lives Matter, Diversität, da ist Me Too. Das sind vielleicht alles Themen, die nicht so ganz in ein Interview zu einem Kinderfilm gehören. Aber weil du gefragt hast, ich glaube, wir sind dabei, dass wir eine andere Welt schaffen. Wir wollen dahin kommen zu sagen: Es ist egal, wer du bist, es ist egal, ob du ein Kleid anziehst oder nicht, ob du gründe Haare hast oder nicht. Da muss die Gesellschaft mitgehen, das kann man nicht nur allein im kleinen Kindergarten machen. Aber es ist, glaube ich, eine Kommunikation, die zwischen dem kleinen Kindergarten und der ganzen Gesellschaft passieren muss. Ich bin so dankbar dafür, dass wir anfangen, das aufzubrechen. Trotzdem haben wir noch wirklich viele Schritte, auch im internationalen Vergleich, zu tun.

Janin: Ja, auf jeden Fall. Ich bin gerade aus Australien wiedergekommen und da ist es wirklich ganz anders. Die Kultur ist natürlich auch ganz anders, aber da läuft einfach jeder auf der Straße einfach rum, wie er oder sie will. Das war so schön zu sehen. Ich glaube, da geht es gar nicht mehr so sehr darum, dass man in irgendwas hinein passen will, oder muss. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, da wird die ganze Zeit mit allen Konventionen, mit allen Geschlechtern, mit allem Gendern gespielt und jede*r drückt sich aus.

„Guck mal, das ist meine Heldenfiguren und die ist ok“

Jerry: Das eine ist das, was man auf der Straße sieht, aber gerade wenn man in die kleineren Dörfer geht, da ist es eher immer noch der Bildschirm, der die Sichtweise bestimmt. Das ist Social Media, das ist der Fernseher, das ist das Kinoprogramm. Das ist das, was du siehst. Aber wenn du da andere Geschichten hast, wie beispielsweise die von Keith und Malizia, dann kannst du auch wieder in den Kindergarten gehen und sagen: „Guck mal, das ist meine Heldenfiguren und die ist ok“. Ich glaube, deswegen sind solche Filme und Geschichten so wichtig. Weil wir auch Geschichten über uns selber
erzählen und sagen, dass es ok ist, eine Geschichte darüber zu machen. Du bist eine Hauptfigur.

Gerade gibt es ja diesen Trend auf Social Media, sich als AI Character zu kreieren. Das ist vor allem in den Communitys total aufgegangen. Weil jeder sich plötzlich vielfältig als Hauptrolle in seinem eigenen Animationsfilm sehen kann. Ich hatte auch das Gefühl, es werden ganz andere Geschichten und Bilder kreiert als die, die wir sonst sehen. Denn die waren immer so kuratiert. Wenn du aber sagst: mehr gewichtige Menschen, Diversität, alle Formen von Ethnien, all das kann eine Hauptrolle sein, dann fangen wir an zu sagen, es gibt nicht mehr nur das eine Ideal.

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Weltoffene Bildung ist wichtig

Janin: Darüber muss auch in der Schule viel mehr gesprochen
werden. Es braucht von Grund auf eine weltoffenere Bildung. Es ist natürlich
ein totales Privileg, aber wer viel unterwegs ist, viel reist, lernt viele andere Menschen kennen und wird dadurch automatisch offener im Geiste. Eltern, aber auch Lehrer und Lehrerinnen, die angstlos mit dem Unbekannten und Neuen umgehen können, bringen das auch eher ihren Kindern bei.

Jerry: Ich glaube, es ist manchmal wichtig, auch in solchen Interviewkontexten solche Themen anzusprechen. Aber trotz all dieser gesellschaftlichen Tiefe in diesem Gespräch hier, ist diese Hoffnung, diese Liebe und dieses kleine Miteinander von Maurice, Keith, Malizia und den Ratten das, was in diesem Film total wichtig ist. Wir schaffen die kleinen Momente, wo du einfach sein kannst.

Andrea Zschocher

Wichtige Message im Film und im Interview

Mir gefällt die selbstgewählte Familie bestehend aus Maurice dem Kater, den Ratten, Keith und im Grunde auch Malzia sehr gut. Ich mag, dass sich hier niemand verstellt und die Charaktere sowohl stark als auch schwach sein können. Wir brauchen doch viel mehr solcher Vorbilder. Genau diese Überlegungen findet ihr ja auch im Interview mit Janin Ullmann und Jerry Hoffmann wieder. Wer sind denn eigentlich eure Lieblingsfilmheld*innen?

Ich habe den Film mit meiner Neunjährigen geguckt. Die fand die Spannung und auch einige gruseligen Szenen ganz gut aushaltbar, hatte aber Fragen zu den verschiedenen Metaebenen im Film. Ich denke, das wird anderen Kindern auch so gehen, deswegen würde ich davon abraten, mit Vorschulkindern in diesen Film zu gehen. Aber vielleicht nutzt ihr das gemeinsame Kinoerlebnis ja für ein anschließendes Gespräch darüber, was euch allen in und an Filmen so wichtig ist.

Andrea Zschocher

Maurice der Kater läuft seit dem 09. Februar im Kino. In unserem Video seht ihr das Interview mit Bastian Pastewka, Janin Ullmann und Jerry Hoffmann. Bastian Pastewka erzählt euch darin von seiner ersten Synchronsprecherrolle:

"Maurice der Kater": Bastian Pastewka, Janin Ullmann & Jerry Hoffmann im Interview
"Maurice der Kater": Bastian Pastewka, Janin Ullmann & Jerry Hoffmann im Interview Abonniere uns
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Bildquelle: Screenshot aus dem familie.de Interview

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