Gartenschlauch statt iPad, Fahrradtouren statt Ferienkurse – die Generation Y schwelgt in Nostalgie und möchte ihren Kindern die unbeschwerte Sommerfreiheit ihrer eigenen Kindheit zurückgeben. Ich bin ein Millennial und rufe ganz laut: "Ja, genau das will ich!" Doch ist das in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich?
Die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit treibt viele Millennial-Eltern dazu, ihren Nachwuchs in diesem Sommer wie in den 90ern aufwachsen zu lassen. Oder sich dies zumindest zu wünschen. Weg vom durchgetakteten Alltag, raus aus der digitalen Welt und hinein in eine Zeit, in der Kinder von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang draußen spielten, ohne dass Eltern jede Minute planten. Diese Bewegung hat sogar einen Namen bekommen: "90s kid summer" – der 90er-Jahre-Kindersommer.
Warum Millennials plötzlich wie Boomer sein wollen
Die Generation Y, aufgewachsen mit Kassetten, Gameboys und endlosen Sommertagen ohne Smartphone, möchte ihren Kindern genau diese Freiheit zurückgeben. "Das bedeutet einfach, den Garten zu öffnen, ihnen einen Gartenschlauch zu geben und sie machen zu lassen", erklärt Kristin Gallant, Erziehungsexpertin hinter Big Little Feelings, in einem Instagram-Video. "Selbstständiges Spielen, Kreativität, Fahrradfahren – und das von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang."
Die Boomer-Generation nickt zustimmend: Genau so haben sie ihre Kinder – die heutigen Millennials – großgezogen (und genau das predigen sie uns Eltern doch schon soooo lange). Und tatsächlich belegen Studien der American Psychological Association, dass unstrukturierte Spielzeit gesunde Körper aufbaut, die Energie steigert und Anspannung sowie Ängste reduziert.
Die Realität hinter dem nostalgischen Traum
Doch wie realistisch ist dieser Traum vom 90er-Sommer im Jahr 2025? Claire Vallotton, Professorin für Entwicklung und Familienstudien an der Michigan State University, bremst in einem Artikel in USA Today die Euphorie: "Sie können nicht einfach neun Monate lang ein überstrukturiertes, technologiegesättigtes Leben führen und dann auf absolute Freiheit umschalten. Wir haben unsere Kinder nicht darauf vorbereitet ... Das könnte die Kinder potenziell ängstlicher machen."
Ein Instagram-Nutzer brachte es in einem Kommentar unter Gallants Video auf den Punkt: "Gebt mir eine 90er-Jahre-Wirtschaft und 90er-Jahre-Immobilienpreise, und ich schaue, was ich tun kann."
Ich sage: Gebt mir meine Eltern und Homeoffice und meine Kinder bekommen einen fantastischen 90er-Jahre-Sommer. Denn genau das machen wir in den Sommerferien jedes Jahr – vier Wochen bei den Großeltern, in denen wir Eltern arbeiten und unsere Kids einen Sommer wie ich 1995 erleben (inklusive Gameboy).
So holst du ein Stück 90er-Sommer in den Familienalltag
Ich weiß, mein 90er-Sommer bei und mit den Großeltern ist ein Privileg, denn nicht jede*r kann Homeoffice machen und nicht jede*r hat Großeltern, die das mittragen. Aber auch wenn dieses Szenario für euch unrealistisch ist, kannst du trotzdem 90er-Jahre-Sommer-Elemente einbauen:
- Bildschirmzeit schrittweise reduzieren – nicht von heute auf morgen
- Regelmäßige "Technik-freie" Zeiten einführen
- Nachbarschaftskontakte fördern, damit Kinder Spielgefährten finden
- Unbeaufsichtigtes Spielen in sicherer Umgebung ermöglichen
- Langeweile zulassen – sie ist der Beginn von Kreativität
Zwischen Nostalgie und modernem Elternsein
Der Wunsch nach dem 90er-Sommer ist verständlich, doch Vallotton sieht darin auch eine Reaktion auf die heutige Elternkultur: "Die Kinder sind überbeschäftigt und nutzen zu viel Technologie. Sie verbringen nicht so viel Zeit in der Natur. Es ist eine Reaktion, die viel Sinn macht, aber zu versuchen, alles in einem Sommer zu lösen, wird weder für die Kinder noch für die Eltern funktionieren."
Besonders berufstätige Eltern können nicht den ganzen Sommer für ihre Kinder verfügbar sein, um aufgeschürfte Knie zu versorgen oder spontane Abenteuer zu begleiten. Die Realität der Generation Y unterscheidet sich deutlich von der ihrer Boomer-Eltern: Beide Elternteile arbeiten oft Vollzeit, Wohngebiete sind nicht immer sicher genug für unbeaufsichtigtes Spielen, und Nachbarskinder zum Spielen sind mancherorts Mangelware.
Warum der Social-Media-Druck auch Eltern schadet
Ein guter Ratschlag ist auch, dass wir Eltern uns selbst einen 90er-Sommer gönnen und unsere Social-Media-Nutzung pausieren. Schließlich sind soziale Medien oft Werkzeuge für sozialen Vergleich und Selbstverurteilung. Statt dem perfekten Instagram-tauglichen Kindheitserlebnis nachzujagen, könnten wir selbst von einer digitalen Auszeit profitieren und damit gleichzeitig ein Vorbild für unsere Kinder sein.
Den perfekten Instagram-tauglichen 90er-Sommer schaffen wir vermutlich eh nicht, also lasst uns lieber kleine, realistische Veränderungen anstreben. Der Druck, die "perfekte" Kindheit zu inszenieren, kann sonst schnell zu Frustration führen – sowohl bei Eltern als auch bei Kindern, die mit der plötzlichen Freiheit überfordert sein könnten.
Zwischen Nostalgie und Realität
Der 90er-Jahre-Sommer muss kein Alles-oder-Nichts-Projekt sein. Statt dem perfekten nostalgischen Sommer nachzujagen, können Eltern einzelne Elemente in ihren Alltag integrieren. Vielleicht ist es nicht möglich, die eigene Kindheit komplett zu reproduzieren, aber wir können unseren Kindern trotzdem mehr Freiräume, unstrukturierte Zeit und technikfreie Momente schenken. Denn am Ende geht es nicht darum, die Vergangenheit zu kopieren, sondern das Beste aus beiden Welten zu vereinen – die Freiheit der 90er mit den Möglichkeiten von heute.
Wie verbringt ihr euren Sommer und wie habt ihr ihn als Kind verbraucht? Was findet ihr besser? Schickt mir gerne eine Email zum 90er-Jahre-Sommer-Traum.