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Fatmas Kolumne

Das Gesetz der Teyze: Darf man fremde Kinder maßregeln? Als türkische „Tante" schon!

Young beautiful girl wearing casual turtleneck sweater standing over isolated pink background angry and mad raising fist frustrated and furious while shouting with anger. Rage and aggressive concept.

Wie geht man mit fremden A****geigen-Kindern um? Darf man ihnen sagen, dass sie frech sind oder sogar nerven? Die Kinder der Anderen – eine mehr als heikle Angelegenheit. Im Grunde kann man in Deutschland in dieser Hinsicht alles nur falsch machen – also tut man am besten gar nichts. Man schaut dezent weg und wartet ab. Nicht so die "Teyze"!

Darf man wirklich gar nichts sagen, wenn das Kind von Freunden, Verwandten oder sogar Fremden seine Umgebung terrorisiert und für alle eine Zumutung ist? Die Antwort ist ganz sicher ein klares JA. In Deutschland mischt man sich gefälligst nicht ein. Für mich gilt das allerdings nicht. Denn ich habe ja einen Migrationshintergrund. Gottlob!

„Du bist ein echter Kinderschreck“, sagte mein Mann, als ich eines Morgens den Schulfreund unseres Sohnes durchs gekippte Fenster lautstark maßregelte. Ich muß ein schräges Bild abgegeben haben, aber dieser Junge regte mich schon seit Tagen auf. Er klingelte mich regelmäßig frühmorgens in den Wahnsinn. Er drückte die Türklingel nicht einmal kurz und freundlich, so wie jeder vernünftige Mensch und auch vernünftiges Kind es tun würde – nein, sein Finger verschmolz scheinbar mit dem Klingelknopf. Das Klingeln riss über 27, 28, 29, 30 Sekunden nicht ab. Ein paar Mal rief ich deshalb durch die Sprechanlage so was wie „Ja, ist ja schon gut“ oder ein lautes „SIE KOMMEN!!!!“ – Er blieb völlig unbeeindruckt von meinem scharfen Ton. Und klingelte weiter wie von Sinnen. „Den schnappe ich mir!“, rief ich nach einigen Tagen und machte einen Satz Richtung Tür. „Nein!!!“, riefen gellend meine Kinder und flitzten die Treppen runter. Aber noch schneller als sie, war ich schon am Fenster und bellte seine Namen! Er solle sofort aufhören damit! Zur Sicherheit wiederholte ich den Befehl. Verstanden?! Danke! Tschüß! Meine Kinder schämten sich für meine Performance und ich verdächtige sie bis heute, dass sie ihrem Schulfreund sagten, dass alles halb so schlimm war. Der Klingel-Bengel kam erst eine Woche später wieder zum Abholen. Meine Kinder waren betrübt, aber seither klingelt er nur einmal ganz kurz. So ein netter Junge.

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Ich bin kein Kinderschreck, sondern eine "Teyze"

In früheren Jahrhunderten drohten hartherzige Erwachsene unartigen Kindern mit einer schaurigen Gruselfigur, die sie holen würde, wenn sie nicht gehorchten: dem sogenannten Kinderschreck. Aber hier liegt mein Mann falsch – das bin ich auf gar keinen Fall, denn ich will ganz sicher keine fremden Kinder holen. Ich habe selbst drei und deren Lärm genügt mir völlig. Ich bin eine „Teyze“. Das ist Türkisch und bedeutet Tante.

Ein Verwandtschaftsverhältnis ist dabei nicht zwingend nötig. Teyze ist auch eine Anrede für eine Frau, etwa für die Freundin der Mutter oder für eine wildfremde Dame, die man auf der Straße oder beim Einkaufen antrifft. Eine Teyze ist eine ältere Respektsperson. Sie ist oftmals streng. Sie sagt was Sache ist. Im Supermarkt, wenn die Kinder fremder Leute das Obst in der Auslage befingern; Zuhause bei Freunden und Verwandten, wenn deren Kinder grenzüberschreitendes Verhalten an den Tag legen. Ein kurzer Blick, ein zischender Ton oder ein mahnendes „Lässt du das, bitte?“.

Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf oder ein Dutzend "Tanten"

Ein viel zitiertes afrikanisches Sprichwort besagt: "Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ In der türkischen Community übernehmen das dutzende „Tanten“. Die Teyze ist eine Instanz. Ich finde es bedauerlich, dass es das in der deutschen Gesellschaft nicht gibt. Denn oftmals ist ihre Einmischung eine kurze, wohltuende Pausen-Taste für die Mamas. Sie können sich für einen Moment von ihrer Erzieherrolle erholen, sich auf die Teyze berufen und bestenfalls dabei zusehen, wie ihre Kinder schlagartig still sind und ihre Patschehändchen von Bananen, Äpfeln und Wassermelonen nehmen.

Eine Teyze hätte ich mir auch gewünscht als vor einigen Jahren in einem Drogeriemarkt der Teufel in meine 3-jährige Tochter fuhr. Sie ist von Natur aus ein lautstarkes Mädchen, das ganz genau weiß, was sie will und in jener Situation wollte sie, dass ihr Zwillingsbruder das Drogeriemarkt-Schaukelpferd augenblicklich für sie frei gibt. Das juckte ihn aber null, also rastete sie komplett aus. Ein grotesker Lärm, der von einem einzigen unkontrollierbaren Kind ausging. Nach einer Weile tuschelten und glotzten die Ersten, einige schüttelten den Kopf. Eine ältere Frau regte sich auf und forderte sogar laut „Ruhe“ ein. Gleichzeitig schrie mein Gorillamädchen als würde man sie mit einem Topf heißem Wasser übergießen. Mit Kind Eins an der Hand rannte ich vom Windelregal zu den Spülmaschinentabs und überlegte fieberhaft was noch fehlte. Meine Tochter wirbelte inzwischen wie eine Windhose um ihren Zwilling. Ich düste zur Kasse; ich kämpfte mit den Tränen. Mittlerweile flennte der Zwillingsjunge, da er von seiner Schwester geboxt wurde. Kind Eins zappelte unaufhörlich unruhig an meiner Hand. Ich fühlte mich angestarrt und ohnmächtig. Plötzlich sprach mich eine Frau an und es passierte etwas völlig Fremdartiges: Sie umarmte mich. “Einkaufen mit Kleinkindern ist die Hölle. Halten Sie durch“, sagte sie und wenig später stand ich draußen auf dem Parkplatz und hole tief Luft. Noch im Rückblick tut ihr Trost gut, denn sie gab mir in dieser Situation meine Würde zurück.

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Ich überlege, dass ich auch eine umarmende Teyze werden könnte. Ich könnte die Mütter trösten statt ihre Teufelsbraten zur Räson zu bringen. Ein schöner, friedlicher Gedanke eigentlich. Doch dafür reicht meine Geduld nicht. Der Lärm meiner eigenen drei Kinder reicht mir vollends; da ertrage ich den von fremden Kindern nicht auch noch. Dann doch lieber ein strenger Teyze-Blick.

Fatma Mittler-Solak

Fatma Mittler-Solak

Fatma ist Mutter von drei Kindern und arbeitet als TV-Moderatorin im Ersten und im SWR Fernsehen, z.B. beim ARD-Buffet. Als sie kurz nach dem ersten Kind mit Zwillingen schwanger wurde, entwickelte sie womöglich als Nebenwirkung der Schwangerschaft, eine Super-Power: Sie verwandelt sich mehrmals am Tag zur She-Hulk und wuppt Kinder und Karriere. Mit bösem Witz und einer Portion Selbstironie schreibt die 44-jährige bei uns über ihr Leben als strenge türkische Mutter, die manchmal vor Wut grün anläuft.

Fatma Mittler-Solak

Wer Erziehung nicht allein den Teyze überlassen will, findet hier im Video Infos über die verschiedenen Erziehungsstile:

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Bildquelle: Getty Images/ AaronAmat

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