Es ist 22 Uhr und das Kind turnt immer noch durch die Wohnung. Ich will endlich (Kinder-)Feierabend machen, aber das Kind lässt mich nicht. Daher verstehe ich, wenn andere Eltern verzweifelt nach Lösungen suchen für diesen Kampf ums abendliche Einschlafen. Immer öfter greifen sie zu vermeintlich harmlosen Melatonin-Gummibärchen, die als natürliche Einschlafhilfe für Kinder beworben werden. Doch was als süßes Betthupferl daherkommt, kann gefährliche Folgen haben – wie aktuelle Tests der Stiftung Warentest jetzt alarmierend zeigen.
Wenn Gummibärchen zur Gefahr werden: Stiftung Warentest schlägt Alarm
Die Verlockung ist groß: Ein kleines Gummibärchen, und schon schläft dein Kind friedlich ein. Doch die Stiftung Warentest warnt eindringlich vor diesem Trend. In ihrem aktuellen Test von vier Melatonin-Produkten für Kinder stellten die Expert*innen fest, dass diese teils mehr als die doppelte Menge des deklarierten Schlafhormons enthalten. Zwei der Präparate überschreiten zudem die empfohlenen Höchstmengen für Vitamin B6.
"Diese Präparate sind keine harmlosen Schlummerhelfer, sondern hormonelle Eingriffe in den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus von Kindern", erklärt Dennis Stieler, Gesundheitsexperte bei der Stiftung Warentest. Besonders beunruhigend: Die fruchtgummiartigen Produkte werden bereits für Kinder ab drei Jahren beworben und erinnern mit ihrer süßen Form und dem fruchtigen Geschmack an Süßigkeiten – was die Gefahr einer übermäßigen Einnahme drastisch erhöht.
Prominente Vorbilder mit gefährlichem Trend
Der Hype um Melatonin-Gummibärchen wird auch durch prominente Vorbilder befeuert. So sorgte das Schauspielehepaar Kristen Bell und Dax Shepard für Aufregung, als sie in einem Interview offen zugaben, ihren Kindern Melatonin-Gummibärchen zu verabreichen. "Es knockt sie schneller aus und es geht ihnen super", erklärte Bell. Ihr Hauptmotiv: mehr Zeit als Paar zu haben, wenn die Kinder früher einschlafen.
Pikant: Bell und ihr Ehemann Dax Shepard sind selbst Mitgründer einer Firma, die solche "Schlaf-Gummibärchen" herstellt. Was die Schauspielerin nicht erwähnte: Die amerikanische Lebens- und Arzneimittelverwaltung (FDA) hat das Produkt noch nicht ausgewertet. Experten sehen diesen Trend äußerst kritisch – besonders, wenn gesunde Kinder betroffen sind.
Gefährliche Überdosierung: Wenn aus Gummibärchen ein Notfall wird
Was viele Eltern nicht wissen: Bei Melatonin-Gummibärchen handelt es sich nicht um Arzneimittel, sondern um Nahrungsergänzungsmittel. Der Unterschied ist entscheidend! Während Arzneimittel höchstens um fünf Prozent von der angegebenen Wirkstoffmenge abweichen dürfen, sind bei Nahrungsergänzungsmitteln Abweichungen von bis zu 50 Prozent erlaubt.
Die Folgen können dramatisch sein. In den USA, wo der Melatonin-Trend schon länger grassiert, ist die Zahl der Melatonineinnahmen bei Kindern innerhalb von zehn Jahren um erschreckende 530 Prozent gestiegen. Melatonin wurde dort im Jahr 2020 sogar zur am häufigsten von Kindern eingenommenen Substanz, die den nationalen Giftnotrufzentralen gemeldet wurde. Besonders alarmierend: Fünf Kinder mussten künstlich beatmet werden, zwei starben sogar.
Hormonelles Eingreifen mit unklaren Langzeitfolgen
Melatonin ist kein harmloses Nahrungsergänzungsmittel, sondern ein Hormon, das vom Körper selbst produziert wird, sobald es dunkel wird. Es steuert unseren Schlaf-Wach-Rhythmus. Wird es zum falschen Zeitpunkt eingenommen, kann es die innere Uhr verstellen.
"Die Folgen können Schläfrigkeit am Tag, Konzentrationsprobleme und sogar Hyperaktivität sein", warnt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Besonders beunruhigend: Zur Sicherheit einer Dauerbehandlung mit Melatonin bei Kindern gibt es noch keine verlässlichen Daten. Die Langzeitfolgen sind völlig unklar.
Wann Melatonin bei Kindern tatsächlich helfen kann
Es gibt durchaus Situationen, in denen Melatonin medizinisch sinnvoll sein kann – allerdings nur unter ärztlicher Aufsicht. Bei Kindern mit schweren Entwicklungsstörungen, etwa Autismus, können Melatonin-Präparate bei Schlafstörungen helfen. Doch selbst hier wird das Hormon nur als letzte Maßnahme empfohlen, nachdem andere Ansätze wie Schlafrituale und eine angepasste Schlafumgebung ausgeschöpft wurden.
Für gesunde Kinder mit Einschlafproblemen raten Expert*innen hingegen klar von Melatonin ab. Die Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin betont: Schlafstörungen, die primär durch inadäquate Einschlafassoziation oder Grenzsetzung ausgelöst werden, sollten nicht mit Melatonin therapiert werden.
Was wirklich hilft: Gesunde Schlafhygiene statt chemischer Eingriffe
Statt zu hormonellen Präparaten zu greifen, sollten Eltern bei Schlafproblemen ihrer Kinder auf eine gute Schlafhygiene achten:
Maßnahme | Wirkung |
Feste Schlafenszeiten (auch am Wochenende) | Trainiert die innere Uhr des Kindes |
Signalisiert dem Körper, dass Schlafenszeit ist | |
Bildschirmfreie Zeit vor dem Schlafengehen | Verhindert die Unterdrückung der natürlichen Melatoninproduktion |
Dunkles, ruhiges Schlafzimmer | Fördert die körpereigene Melatoninausschüttung |
Körperliche Aktivität tagsüber | Sorgt für gesunde Müdigkeit am Abend |
Mittagsschlaf kürzen oder weglassen | So sind die Kinder am Abend müder |
Finger weg von Melatonin für gesunde Kinder
Nach all diesen Informationen ist für mich klar: Die süßen Melatonin-Gummibärchen mögen verlockend erscheinen, doch meinen Kindern gebe ich sie nicht. Der hormonelle Eingriff in den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus birgt unkalkulierbare Risiken – von Tagesmüdigkeit bis hin zu schwerwiegenden Vergiftungen bei Überdosierung. Da versuche ich lieber das Beste aus dem putzmunteren Kind am Abend zu machen und mit ihm gemeinsam noch eine schöne Zeit zu verbringen.
Statt nach der vermeintlich einfachen Lösung aus dem Gummibärchenglas zu greifen, lohnt es sich, in gesunde Schlafgewohnheiten und beruhigende Rituale zu investieren. Bei anhaltenden Schlafproblemen sollte immer der Kinderarzt oder die Kinderärztin konsultiert werden – er/sie kann organische Ursachen ausschließen und individuell passende Lösungen empfehlen. Denn die Gesundheit unserer Kinder ist zu wertvoll, um sie einem ungeprüften Trend zu opfern.
Keine Sweets mit Benefits bei uns
Ich finden es bedenklich, Kindern Vitamine und andere Ergänzungsmittel in Form von Gummibärchen zu verabreichen. Letzteres sind für mich Süßigkeiten, die es hin und wieder gibt. Ich möchte dieses Treats für meine Kinder nicht mit einem Gesundheitsbenefit verknüpfen, weil ich das für gefährlich halte. Deshalb gibt es bei uns nur "normale" Gummibärchen, Vitamine als Obst und Gemüse und wenn doch einmal ein Ergänzungspräparat nötig ist, dann als Saft, Tablette oder Tropfen.
Habt ihr die Melatonin-Gummibärchen schon ausprobiert und seht das nicht so eng? Oder kommt für euch so etwas nicht infrage? Schreibt mit gerne eine Email mit euren Erfahrungen.