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Gute-Nacht-Geschichten

Lea und die Mondphasen

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von Stefan Kappner

Wieso ist der Mond mal rund, dann mal wieder schmal? Dies möchte Papa seiner Tochter möglichst anschaulich erklären. Nur wie?

„Warum“, fragte Lea, „nimmt der Mond eigentlich ab und zu?“ Sie saß in Papas Wohnzimmer. „Was macht der Mond ab und zu?“ Papa schaute hinter einer Zeitung hervor. „Er nimmt zu und er nimmt ab. Sagt man doch so, oder?“ „Ja!“ Er blinzelte. Jetzt wusste er, wovon die Rede war. „Du meinst die so genannten Mondphasen.“

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„Ich meine, dass der Mond einmal einfach aussieht wie ein Ball und ganz hell ist und dann wieder wie der Milchrand auf dem Tisch, wenn die Tasse übergelaufen ist.“

„Ja, genau. Mondphasen!“ Papa sprang auf und verschwand im Arbeitszimmer. Nach drei Minuten kam er wieder - mit einer Taschenlampe und Leas Flummiball.

„Hier siehst du es!“ „Was? Meinen Flummi? Woher hast du den?“ „Einen kugelförmigen Flummi also.“ Papa überging Leas Frage. „Das ist der Mond und wenn ich ihn so von der Seite anleuchte, dann …“ „Nee, wie der Mond sieht der aber nicht aus! Der ist doch grün, außerdem …“

„Ah, na klar …“, unterbrach sie Papa. „Hier ist es viel zu hell.“ Er knipste das Deckenlicht aus. Es war Abend, aber draußen war es noch nicht dunkel. Der Flummi leuchtete grün im Licht der Taschenlampe und war immer ganz zu sehen, egal, wohin Papa die Taschenlampe hielt.

„Erklärst du mir jetzt das mit den Mondfarben? Wegen dem Grün?“ „Nein.“ Papa guckte komisch. „Es heißt nicht Mondfarben, sondern Mondphasen. Mit Farben hat das gar nichts zu tun.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Ich glaube, es ist besser, ich gehe mal in den Keller und hole einen Tischtennisball. Der ist nämlich weiß, so, wie der Mond, oder?“

Lea knipste das Licht wieder an. Dann ging sie in die Küche und sah im Kühlschrank nach: drei Packungen Würste und eine Dose Kartoffelsalat. „Immerhin!“, murmelte sie und ließ Wasser in einen Topf laufen.

Nach einer Viertelstunde kam Papa wieder rauf - mit einer Schachtel voller Tischtennisbälle, einem labberigen Fußball und seinem Werkzeugkasten. Unter den Arm hatte er sich ein paar Dachlatten geklemmt (Das sind lange dünne Bretter).

„Was machst du da?“, fragte er. „Würstchen, was sonst? Und du?“ „Ich soll dir doch die Mondphasen erklären, schon vergessen?“ „Mit Dachlatten?“

„Das wirst du schon sehen. Das hier ist jedenfalls der Mond.“ Er hielt einen Tischtennisball hoch. „Und das …“ Er zeigte auf den alten Fußball. „Das ist die Erde.“ Nun nahm er eine Schere aus seinem Werkzeugkasten und schnitt ein großes und zwei kleine Löcher in den Fußball.

Inzwischen deckte Lea den Tisch. Saubere Gläser fand sie keine mehr, dafür eine Unmenge Tassen. „He, was machst du da?“, rief sie plötzlich. Papa versuchte ihr den Fußball über den Kopf zu stülpen, doch das Loch war zu klein. Er blieb an ihrer Nase hängen.

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„Entschuldige, aber weißt du, die Mondphasen sieht man doch von der Erde aus, also musst du auch vom Fußball aus gucken, sonst klappt das nicht.“ „Nimmst du ihn mir jetzt bitte wieder vom Kopf?“ „Klar, ich muss doch noch ein Loch für die Nase scheiden!“ Papas Stimme wurde feierlich. „Und die Dachlatten anbringen.“

Erde und Mond

„Ach, Papa!“ Lea stöhnte. „Sollen wir jetzt nicht mal zu Abend essen? Wir haben doch noch das ganze Wochenende.“ „So kurz vor der Vollendung? Niemals!“ Papa öffnete den Werkzeugkasten ein zweites Mal und holte den Akkubohrer heraus, sein Lieblingswerkzeug. Ein Akkubohrer ist eine Bohrmaschine ohne Kabel. Damit bohrte er ein kleines Loch in die Mitte einer Latte. Anschließend schraubte er dort den Fußball an - und zwar von innen, durch das große Loch hindurch.

Lea biss in eine Wurst. „Seit wann isst die Erde Wurst?“, fragte Papa und setzte Lea den seltsamsten Hut auf, den man sich vorstellen kann: Die kleinen Löcher waren für die Augen, der Ball ging runter bis zum Kinn und oben drauf war die Latte befestigt. Sie ragte gleich weit nach vorne und nach hinten.

„Das Loch für den Mund fehlt!“, rief Lea gedämpft. „Mund?“ „Ich hab Hunger, Papa!“

„Gleich, gleich! Jetzt bringe ich noch den Tischtennisball vorne an.“ Er riss ein Stück Klebestreifen von einer Rolle und wickelte ihn um den Ball und die Latte, so dass Lea ihn von ihrem Ausguck aus sehen konnte. „Jetzt dreh dich mal!“

Lea folgte gehorsam. Bei der Drehung geriet das hintere Ende der Latte ins Gewürzregal. Eine Reihe Gewürzgläser polterte auf den Küchenboden. „Papa, was war das?“

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„Bloß ein paar Kometen. Die heben wir gleich auf. Jetzt kommt’s nämlich! Und ich …“ Er machte eine bedeutsame Pause. „… bin die Sonne!“ Er stand mit der Taschenlampe am Lichtschalter. Das kleine Licht (die Sonne also) knipste er an, das große aus.

Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Lea tastete mit der Hand nach einer Wurst und versuchte sie sich unter dem Rand der Fußballerde hindurch in den Mund zu schieben.

„Und jetzt drehe dich noch einmal!“

Das zweite Brett des Gewürzregals wurde von Gläsern befreit. Das lautere Geräusch stammte jedoch von der Saftflasche, die Lea bereitgestellt hatte. Der Saft floss über die Fliesen und Papa fragte: „Na, siehst du es?“

„Was denn? Du, es wird glitschig!“ „Den zu- und abnehmenden Mond natürlich.“

„Du meinst den Tischtennisball?“ „Na klar. Er ist doch einmal von der Seite und einmal von vorne beleuchtet. Je nachdem, wie du stehst. Immer weiter drehen, Lea!“

Lea sah zu dem Ball und versuchte, nicht auszurutschen. Langsam wurde ihr schwindelig. „Na ja, das sieht schon unterschiedlich aus, du hast Recht. Aber nicht so, wie beim Mond und dem Milchrand von der Tasse. Es sieht immer noch wie ein Ball aus, eben.“

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Papa seufzte und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. Gedankenvoll berührte er mit seinen Sandalen ein Gewürzgläschen: roter Pfeffer. „Können wir das Licht jetzt wieder anmachen?“, fragte Lea. „Licht, Licht …“, murmelte Papa und biss in eine Wurst, die er sich aus dem Topf geangelt hatte. Lea stand daneben, den Fußball immer noch auf dem Kopf. „Na klar, das ist es!“, rief er plötzlich.

„Was, die Wurst?“ „Nein. Das sieht noch nicht so aus, weil das Licht von der Lampe auch an die Wand fällt und von dort zurück zum Ball. Es darf aber nur aus einer Richtung kommen, nämlich von der Sonne.“ „Also der Taschenlampe.“

„Genau! Und das ist des Rätsels Lösung: Die Wände müssen schwarz sein!“

„Papa, du wirst doch nicht … Ich glaub’s dir auch so! Ehrlich!“

„Warte mal …“ „Aber …“

Papa stürmte aus der Küche und hörte nicht mehr, was Lea ihm hinterher rief. Im Dunkeln tastete sie sich langsam seitwärts zum Lichtschalter. Das Süßigkeitenglas auf dem Kühlschrank rumpelte herunter. Schließlich hatte Lea den Schalter erreicht und sah den Ball wieder vor sich. Die Deckenlampe wackelte. Lea schnitt die Wurst in kleine Stücke und steckte sie auf Fonduespieße. Damit kam sie durch die Lücke an ihrem Kinn.

„Pass auf, dass du dich nicht stichst!“, hörte sie Papas Stimme. Er war mit einem Arm voller Stoffdecken wieder aufgetaucht. Nun stellte er sich auf einen Stuhl und nagelte eine Decke an die Wand. Ganz oben.

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„Die sind doch nicht schwarz“, fiel Lea auf. „Aber violett. Und das ist fast so gut wie schwarz, denn das Licht der Taschenlampe ist beinahe gelb.“ „Na und?“ „Das erkläre ich dir ein anderes Mal.“

Nach und nach hängte Papa alle Decken auf. Als er fertig war, war Lea endlich satt. Zwei Würste und einiges vom Kartoffelsalat waren stückchenweise in den Fußball gewandert. Dafür war genug Zeit, denn zwischendurch war Papa auf dem Saft ausgerutscht, hatte versucht, sich festzuhalten, und eine der Decken wieder heruntergerissen.

„Und jetzt“, rief er schließlich aus, „das große Finale! Die Anschauungserklärung der Mondphasen. Lea, bitte drehen!“

Lea stand auf, schob ihren Stuhl vorsichtig unter den Tisch und begann sich langsam zu drehen. „Schau auf den Mond! Licht aus!“

Jetzt war es stockdunkel. Nur Papas Hand war zu sehen, mit der er noch einen Teil der Taschenlampe abdeckte, und natürlich der Tischtennisball.

„Ja.“ „Was ja?“ „Jetzt sehe ich es richtig. Der Ball nimmt ab und zu!“ „Ab und zu! Juchhuuu!“, sang Papa und Lea drehte sich noch drei Mal, wobei es verdächtig klirrte. Die Teller?

„Du, Papa?“, sagte Lea, nachdem Papa ihr den Lattenfußball vom Kopf genommen hatte. „Jetzt ist deine Küche ganz schön durcheinander.“

„Macht nichts“, erwiderte er. „Das räumen wir morgen auf. Hauptsache, du hast das mit den Mondphasen verstanden.“

„Klar, Grün und Violett sind Mondfarben!“, grinste Lea. „Und die Würstchen, die du gekauft hast, waren ziemlich lecker!“

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