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Exklusiv-Interview

Familienministerin Giffey im Interview: Das soll 2021 noch alles passieren!

Franziska Giffey im Exklusivinterview auf familie.de
© Photothek

Wir haben die Familienministerin zum exklusiven Interview getroffen. Uns interessierten auch die Pläne von Franziska Giffey für Familien. Wir sprachen mit ihr über Ganztagsbetreuung, Chancengleichheit und Vereinbarkeit. Abschließend im Fokus standen die Pläne, die die Familienministerin noch in dieser Legislaturperiode umsetzen will.

familie.de: Nachdem es im ersten Teil unseres Interviews ausschließlich um Corona und die schwierige Situation von Familien in der aktuellen Situation ging, wollen wir uns im zweiten Teil vor allem mit Zukunftsszenarien und Plänen befassen. Wenn Sie frei von Zwängen wären und mit unendlichen Ressourcen Entscheidungen treffen könnten, was würden Sie tun, liebe Frau Giffey?

Franziska Giffey: Ich würde endlich flächendeckend überall in Deutschland den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter einführen, sodass jedes Kind ganz zügig ein Top- Angebot hat, nicht nur am Vormittag sondern auch am Nachmittag. Dass die Eltern wissen, ich kann mein Kind hier gut betreuen lassen. Und es ist ein wichtiger Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit, also gleiche Chancen für alle Kinder.

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Frau Giffey, Sie waren von 2015 bis 2018 Bezirksbürgermeisterin von Berlin Neukölln. Sie kennen sich mit der Arbeit im sozialen Brennpunkt und Chancenungleichheit insbesondere für Kinder sehr genau aus. Was haben Sie in Neukölln angestoßen, von dem Sie überzeugt sind, dass es für Deutschland generell wichtig ist? 

Wir haben die Schulen dort von Halbtags- in Ganztagsschulen umgewandelt, Schulsozialarbeit und eine aktive Elternarbeit etabliert. Wir konnten dort die Zahl der Kinder mit Empfehlung fürs Gymnasium steigern. Das ist doch großartig. Und gerade im Brennpunkt wichtig.

Es ist meine tiefe Überzeugung, wenn wir in Deutschland weiterkommen wollen, wenn wir mehr Erwerbstätigkeit von Müttern wollen, wenn wir mehr Bildungsgerechtigkeit wollen, wenn wir mehr Vereinbarkeit wollen für beide Eltern, dann muss es eine vernünftige Betreuung geben – auch nach der Kita, also in der Schulzeit. 70 Prozent der Eltern wünschen sich das.

Woran hakt es denn dann?

In den SPD- geführten Ländern ist es Konsens, dass die Ganztagsschule ein politisches Ziel ist. Die Lage in den Ländern ist aber sehr unterschiedlich. Im Osten Deutschlands könnten wir morgen den Rechtsanspruch einführen. Dort gibt es ein sehr breites Hortangebot. Aber in manchen westdeutschen Bundesländern kriegen die Minister Schnappatmung, wenn wir sagen, wir wollen ab 2025 den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.

Und auf der anderen Seite sagen die Eltern aber wieder “Wieso erst 2025? Ich will das jetzt!”

Nicht nur viele Minister stehen der Ganztagsschule kritisch gegenüber. Auch manche Eltern möchten für ihre Kinder keine Ganztagsbetreuung. 

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Wir wollen niemandem etwas vorschreiben. Wir reden nicht von Pflicht, aber von Anspruch und Angebot.

Dass die, die es wollen, was vorfinden und nicht aufgrund des fehlenden Betreuungsangebots ihre Arbeitsstunden zurückfahren müssen. Denn, wer macht das häufig? Es sind doch fast immer die Mütter, die in Teilzeit gehen. Und dann kommen sie nicht mehr zurück oder holen das nicht mehr auf. Und dann wundern wir uns, warum Mütter so geringe Renten haben.

Manche Mütter sagen "ich mach das aber so gern". Das ist doch toll. Solange alles gut funktioniert in der Partnerschaft, ist das ja in Ordnung. Aber kommt es zu einer Trennung, dann steht die Mutter oft da mit geringem Einkommen, alleinerziehend, mit all den Problemen, über die wir hier reden.

Jeder soll sein Familienmodell leben, wie er oder sie es möchte, aber das, was wir politisch anregen, was die Familienpolitik hier ausmacht, ist zu sagen: Wir wollen eine faire Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Und dafür setzen wir Anreize. Nicht für das Alleinverdienermodell. Das wird ja schon angereizt durchs Ehegattensplitting, das überhaupt nicht mehr zeitgemäß ist.

Viele Papas wollen sich mehr einbringen und wie die Mütter ab der Geburt aktiv dabei sein. Wird es einen Vaterschaftsurlaub nach der Geburt eines Kindes geben?

Es gibt eine Richtlinie in der EU, in der es darum geht, dass Länder, die noch nichts oder sehr wenig tun für die partnerschaftliche Sorge nach der Geburt, zumindest Väterurlaub ermöglichen. Deutschland ist über dieses Stadium schon längst hinaus. Wir machen viel mehr als diese 10 Tage. Und zwar deutlich.

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Jedes Paar kann entscheiden, wie sich die Partner die 14 Monate Elternzeit aufteilen wollen. Man kann das klassische, 12 und 2 machen oder auch 7 und 7 oder jede andere gewünschte Aufteilung. - Die durchschnittliche Bezugsdauer von Vätern liegt derzeit übrigens bei drei Monaten. - Der Vater kann auch vier Wochen nach der Geburt Elternzeit machen. Wir haben quasi übererfüllt. Das wird von der EU-Kommission auch so gesehen.

Worum es hier in Wahrheit geht ist, dass die Väter sagen, sie möchten die ersten 10 Tage bitte 100% Gehalt. Das ist für uns ein Punkt, an dem wir sagen: Auf die gesamte Zeit gesehen, bekommen Eltern wirklich sehr viel Unterstützung vom Staat.

Das Elterngeld ist unsere größte familienpolitische Leistung. Über 7 Milliarden Euro geben wir mittlerweile pro Jahr fürs Elterngeld aus. Und wir wollen, dass das partnerschaftlich aufgeteilt wird und nicht, dass die Männer 10 Tage Urlaub machen und den Rest macht dann die Mutter. Mit den bei uns bestehenden Leistungen und Möglichkeiten sind wir im europäischen Vergleich schon ziemlich weit vorn.

Wenn ein Vater nach der Geburt Zuhause bleiben will, das machen ja auch unglaublich viele, dann kann er das. Er bekommt dann aber nicht 100% Lohnersatz, sondern das Elterngeld. Dafür bekommt er es aber über einen viel längeren Zeitraum.

Im September soll eine erneute Reform des Elterngelds in Kraft treten. Welche Änderungen erwarten uns Eltern hier?  

Die Verbesserungen für die Eltern von Frühchen ist mir besonders wichtig. Wir hatten vorgesehen, den Bezugszeitraum für Frühchen-Eltern um einen Monat zu verlängern. Das Parlament hat sogar aufgestockt und hat gesagt:

  • die Eltern bis 6 Wochen zu früh geborener Babys bekommen einen zusätzlichen Elterngeldmonat
  • die 8 Wochen zu Frühen bekommen 2 Monate
  • wenn das Kind 12 Wochen zu früh geboren wird, 3 Monate und
  • bei 16 Wochen bekommen Eltern 4 Monate lang mehr Elterngeld.
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Ich finde das absolut gerechtfertigt, denn die Kinder haben diesen Nachholbedarf. Das ist eine große Verbesserung.

Diese Sachlage ist ziemlich leicht zu erklären. Aber den Partnerschaftsbonus zu erklären, den wir jetzt noch mal flexibler gemacht haben, das ist etwas schwieriger.

Dann erklären Sie uns das doch mal ganz genau!

Den Partnerschaftsbonus gibt es, wenn beide beruflich ein Stückchen zurückfahren. Bisher war die Problematik, dass man nur maximal 30 Stunden pro Woche arbeiten durfte. Viele haben gesagt, das bekomme ich mit meinem Arbeitgeber nicht hin, weil es nicht vier volle Arbeitstage sind. Und auch die Mindestarbeitszeit von 25 Stunden pro Woche war nicht praktikabel.

Jetzt haben wir es so verändert, dass die Mindestgrenze bei 24 Stunden pro Woche liegt und bis 32 Stunden pro Woche hochgehen kann. So können beide Eltern 3-4 Tage pro Woche in Teilzeit arbeiten und haben Anspruch auf den Partnerschaftsbonus. Und sie müssen den Partnerschaftsbonus nicht mehr 4 Monate am Stück beziehen, sondern können ihn auch für zwei oder drei Monate nehmen oder früher aussteigen.

Das müssen wir aber noch bekannter machen. Es ist das eine, die gesetzliche Änderung durchzubringen und das andere, die Menschen zu informieren, was da geht.

Da sind Sie bei uns genau an der richtigen Adresse!  Wir sehen es als unsere Pflicht, die Eltern dabei zu unterstützen, die manchmal ganz schön drögen Gesetzesthemen und Reformbeschlüsse und ihre Bedeutung für den Familienalltag besser zu verstehen. 

Ein weiteres Thema, bei dem wir Eltern gerade in Home-Schooling-Zeiten auch dringend Hilfe und Unterstützung gebrauchen könnten, ist Digitale Medienkompetenz. Der ganze Themenkomplex Kinder- und Jugendmedienschutz in diesem Zusammenhang ist aber auch wichtig. Da hapert es im Moment doch noch sehr!

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Ja. Das ist ein Thema. Wir sind dabei das Jugendschutzgesetz zu reformieren. Das ist ja noch aus der Zeit von CD-Rom und Videokassette. Das wird jetzt ins digitale Zeitalter gebracht und der Jugendmedienschutz digitaler.

Das moderne Jugendschutzgesetz hat drei große Schwerpunkte.

  1. Es geht um den Schutz vor sogenannten Interaktionsrisiken, also vor Cybergrooming, Cybermobbing oder Abzocke. Wir verpflichten die Anbieter zu technischen Schutzvorkehrungen, zu altersgerechten Voreinstellungen, zu Hilfe- und Beschwerdefunktionen, die standardmäßig werden sollen.
  2. Wir wollen Erwachsenen und Kindern Orientierung geben, im Sinne von: Was ist eigentlich geeignet für ein Kind, Stichwort Alterskennzeichnung.
  3. Ohne Durchsetzung geht es nicht. Das heißt, wenn man diese Regeln macht, muss man auch eine schlagkräftige Einheit haben, die das durchsetzt.

Wir haben im Moment die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Die hat schon eine große Tradition. Sie ist zuständig für jugendgefährdende Inhalte und kann CDs, Bücher und Videospiele indizieren. Interaktionsrisiken und Vorsorgemaßnahmen berücksichtigt sie bislang überhaupt nicht.

Wir wollen die Prüfstelle zu einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz weiterentwickeln, die sicherstellt, dass sich die Plattformen an ihre Vorsorgepflichten halten. In anderen Bereichen gibt es ja zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Wenn der Bundestag demnächst unserem Gesetzentwurf zustimmt, können wir die Bundeszentrale noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Mit den vorgesehenen Mitteln wollen wir mehr als 30 Leute zusätzlich dort einstellen.

Was sind Ihre weiteren Pläne bis zum Ende dieser Legislaturperiode?

Die Einigung auf den Rechtsanspruch auf die Ganztagsschule ist noch ein wichtiges Ziel. Ein weiteres ist die Reform der Kinder- und Jugendhilfe, das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. Da geht es um die über 1 Million Kinder, die Zuhause in schwierigen Verhältnissen leben, um Kinder mit Behinderungen, um Pflegekinder und Heimkinder.

Was genau soll sich da verändern?

Das wird die sogenannte SGB 8- Reform. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist das Sozialgesetzbuch 8 und das Ganze ist ein riesiges Gesetz. Wir wollen hier 5 große Regelungsbereiche verstärken und unterstützen.

  1. Das Thema Kinderschutz
  2. Die Verbesserung der Situation für die Heim- und Pflegekinder
  3. Die Frage: Wie können wir Prävention und Hilfe (zum Beispiel für suchtkranke Eltern und ihre Kinder) vor Ort stärken?
  4. Kinder mit und ohne Behinderung spielen eine Rolle. Im Moment haben wir ja keine inklusive Jugendhilfe. Das ist nicht in Ordnung. Alle Kinder sollen erst mal Kinder sein und dann wird geschaut, welche Bedarfe haben sie. Alle sollen in der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden.
  5. Wir wollen die Beteiligung stärken. Familien sind oft nicht aufgeklärt, was passiert, wenn ihre Kinder in Obhut genommen werden. Wir wollen verpflichtend überall in Deutschland Ombudsstellen eröffnen, damit sich die Familien jenseits des Jugendamtes Hilfe holen können.

Auch die Kommunikation zwischen Kinderärzten und Jugendamt soll verbessert werden. Wenn es einen Kinderschutzfall gibt, dann meldet der Arzt das beim Amt, aber häufig bekommt er keine Rückmeldung von der Kinder- und Jugendhilfe, was mit dem Kind passiert ist. Das ist schwierig. Wir wollen, dass das verbessert wird. Es sollte eine viel engere Zusammenarbeit zwischen den Kinderärzten und den Jugendämtern geben. Unser Gesetzentwurf ist jetzt im parlamentarischen Verfahren und soll noch in dieser Legislatur in Kraft treten.

Sie sehen, wir haben noch einiges vor. Was wichtig ist zu wissen: Den allermeisten Familien in Deutschland geht es gut. 80 Prozent sind nicht auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen. 20% aber schon. Und genau diese 20% dürfen nicht vergessen werden. Natürlich sehe ich auch die anderen. Aber wir sind als Gesellschaft nur so stark, wie wir in der Lage sind, uns um die Schwächsten zu kümmern.

Einkommensschwache Eltern – und vor allem ihre Kinder – sollten die gleichen Chancen haben für ein selbstbestimmtes und freies Leben.

Vielen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke in die Zukunftspläne des Familienministeriums! 

Im ersten Teil des Interviews mit der Bundesfamilienministerin ging es um Herausforderungen und Unterstützungen für Eltern in Zeiten von Corona. Wenn ihr das noch nicht gelesen habt, holt es gern nach.

Andrea Zschocher

Mein Fazit

Es dürfte kein Geheimnis sein, dass mir das Thema Kinder- und Jugendmedienschutz sehr am Herzen liegt. Immer wieder schreibe ich ja auch hier auf familie.de über den fehlenden Schutz für Kinder und Jugendliche und die mangelnde Medienkompetenz. Deswegen bin ich persönlich auf diese Pläne sehr gespannt und werde das sehr genau verfolgen.

Andrea Zschocher
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