Zwischen rosa Prinzessinnenkleid und blauem Fußballtrikot liegt eine ganze Welt voller Möglichkeiten. Geschlechtsneutrale Erziehung bedeutet nicht, das Geschlecht eures Kindes zu verleugnen, sondern ihm die Freiheit zu geben, alle Facetten seiner Persönlichkeit zu entdecken – ohne in die Falle der Rollenklischees zu tappen. Wie das gelingt? Mit einer Portion Gelassenheit und ein paar hilfreichen Tipps.
- 1.Was bedeutet geschlechtsneutrale Erziehung wirklich?
- 2.Fünf praktische Tipps für geschlechtsneutrale Erziehung
- 2.1.1. Rosa und Hellblau nicht verdammen
- 2.2.2. Jungen in Rosa unterstützen
- 2.3.3. Mädchen sind NICHT zickig
- 2.4.4. Kindern keine Rollenklischees einreden
- 2.5.5. Aushalten, dass Kinder Klischees manchmal klasse finden
- 3.Häufige Bedenken und wie ihr damit umgehen könnt
- 3.1."Geschlechtsneutrale Erziehung verwirrt Kinder"
- 3.2."Geschlechtsneutrale Erziehung bereitet nicht aufs Leben vor"
- 4.Wie ihr Rollenklischees im Alltag entgegenwirkt
- 4.1.Vorbilder sein
- 4.2.Mental Load teilen
- 4.3.Spielzeug und Bücher bewusst auswählen
- 5.Grenzen der geschlechtsneutralen Erziehung akzeptieren
Was bedeutet geschlechtsneutrale Erziehung wirklich?
Bei geschlechtsneutraler Erziehung geht es nicht darum, das Geschlecht eures Kindes zu verleugnen oder alle Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu negieren. Viel mehr ist es ein Ansatz, der Kindern ermöglicht, sich frei zu entfalten – ohne durch gesellschaftliche Erwartungen und Stereotypen eingeschränkt zu werden.
Das Ziel ist nicht, eine neutrale Mitte zwischen männlich und weiblich zu finden, sondern eurem Kind selbst zu überlassen, wer es sein möchte. Es geht um Chancengleichheit statt Gleichmacherei. Kinder sollen die Möglichkeit haben, unterschiedlichste Ausprägungen von männlichem und weiblichem Verhalten kennenzulernen und für sich selbst zu entscheiden, was zu ihnen passt.
In der Praxis bedeutet das: Lasst eure Kinder vorurteilsfrei verschiedene Geschlechterrollen ausprobieren und bietet ihnen Kleidung und Spielzeug an, die nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkt sind. Das klingt einfach, ist aber manchmal gar nicht so leicht umzusetzen, weil auch wir Eltern unsere eigenen Vorurteile und Vorstellungen mitbringen.
Fünf praktische Tipps für geschlechtsneutrale Erziehung
1. Rosa und Hellblau nicht verdammen
Es sind nur Farben! Ja, sie werden für bestimmte Geschlechterrollen benutzt, und ja, es kann nervig sein, dass es bei Kinderklamotten so wenig Auswahl jenseits von rosa und hellblau gibt. Aber die Farben komplett zu verbannen ist genauso übertrieben wie ein Mädchen nur in Rosa zu kleiden.
Lasst eure Kinder anziehen, was sie wollen, und findet euch damit ab, dass ihre Wahl vielleicht schon recht früh nicht eurem Geschmack entspricht. Euer Kind darf sich ausdrücken, wie immer es möchte.
2. Jungen in Rosa unterstützen
Der Wille, geschlechtsneutral zu erziehen, stoppt oft urplötzlich, wenn ein Junge rosa trägt. Während Mädchen im Bagger-Pulli oder Fußballtrikot als cool gelten, ernten Jungen in rosa Einhorn-Shirts oft ungläubige Blicke oder dumme Kommentare.
Steht zu euren Söhnen, wenn sie die Farbpalette jenseits von Blau und Grün erkunden wollen. Sie brauchen eure Unterstützung in einer Welt, die oft weniger tolerant ist, als wir es uns wünschen würden.
3. Mädchen sind NICHT zickig
Egal, ob das Kind mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, gerade vom Nachbarsjungen geärgert wurde oder sich wehgetan hat: Schwierige Mädchen werden oft als "zickig" bezeichnet, während schwierige Jungs einfach als "wild" gelten. Der Spruch "heute lässt sie aber die Zicke raushängen" kann von der fremden Frau auf der Straße kommen, von der Nachbarin oder sogar von der eigenen Mutter.
"Zicke" ist ein Schimpfwort, es ist frauenfeindlich und herabwürdigend. Streicht es aus eurem Wortschatz, nennt niemanden so, schon gar nicht ein Kind. Wenn eure Tochter wütend ist, dann ist sie wütend – genau wie euer Sohn wütend sein darf, ohne gleich als aggressiv abgestempelt zu werden.
4. Kindern keine Rollenklischees einreden
Weil die Geschlechterklischees überall lauern und wir manche so stark verinnerlicht haben, ist es uns oft gar nicht bewusst, wenn wir in die Falle tappen. Aber ich finde, wer Kinder hat, trägt hier eine Verantwortung. Redet Mädchen nicht ein, sie seien zu schwach, zu langsam oder sowieso schlecht in Mathe. Und sorgt dafür, dass das auch eure Söhne verstehen.
5. Aushalten, dass Kinder Klischees manchmal klasse finden
Kinder machen selten das, was wir von ihnen wollen. Meistens wollen sie einfach nur spielen, und manchmal sind diese Spiele auch ziemlich stereotyp: Prinzessin/Eiskönigin/Mutter-Vater-Kind die Mädchen, Ritter/Spiderman/Fußball die Jungs.
Dann ist das eben so. Es wird nicht so bleiben – einen Teil löst die Entwicklung: Die hingebungsvolle Prinzessin wird nicht als Heimchen am Herd enden, wahrscheinlicher ist, dass sie mit 20 nur noch schwarz trägt und Physik studiert. Den anderen Teil habt ihr in der Hand: Zeigt euren Kindern, was jenseits von Prinzessinnen- und Ritterspielen alles möglich ist.
Dein Geschlecht bestimmt dich nicht!
Ich finde die Idee der geschlechtsneutralen Erziehung gut. Aber ich muss auch gestehen, dass es für mich eben nur eine Idee ist. Ich erlebe bei meinen drei Kindern, dass es für sich durchaus wichtig ist, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sind. Das schränkt sie nicht ein, sie spielen alle mit allem, Puppen werden von den Jungs genauso bekuschelt, wie meine Tochter auf Bäume klettert. Aber doch ist es für sie wichtig zu wissen: Ich bin ein Junge / Mädchen.
Wir als Eltern leben vor, dass das Geschlecht nicht bestimmt, was wir (nicht) tun können, jede*r darf alles versuchen und ausprobieren. Für mich ist das letztlich wichtiger als ein Erziehungskonzept durchzuziehen, bei dem mich nicht alles anspricht. Ich bin da einfach praktisch veranlagt.
Häufige Bedenken und wie ihr damit umgehen könnt
"Geschlechtsneutrale Erziehung verwirrt Kinder"
Manche befürchten, dass Kindern, die geschlechtsneutral aufwachsen, ein Zugehörigkeitsgefühl fehlt. Dieses Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Geschlecht ist in unserer Gesellschaft ein Merkmal, das identitätsbildend ist. Fühlen sich Kinder keinem Geschlecht zugehörig, könnte ihnen eine orientierungsgebende Gruppe fehlen.
Aber: Natürlich passiert das nicht, wenn Mädchen und Jungen "nur" damit groß werden, dass sie alles erreichen können, was sie wollen. Wenn ihr erklärt, dass ihr Geschlecht kein Hinderungsgrund für den Berufswunsch ist, wenn sie sich mit Spielzeug und Kleidung ausprobieren dürfen und ihr sie sein lasst, wie sie sein möchten, dann stärkt ihr ihre Identität, statt sie zu verwirren.
"Geschlechtsneutrale Erziehung bereitet nicht aufs Leben vor"
Einige Kritiker merken an, dass eine geschlechtsneutrale Erziehung Kinder nicht auf das "richtige Leben" vorbereitet, in dem es nun einmal Geschlechterdifferenzierungen gibt. Und auch das stimmt. Ein Junge, der unbefangen mit einem rosa Tutu unterwegs ist, wird häufig mit Spott oder Unverständnis konfrontiert werden.
In solchen Fällen brauchen eure Kinder euch als starke Partner, die ihnen immer den Rücken stärken. Denn nur wenn Kinder merken, dass sie bedingungslos geliebt werden, finden sie den Mut, die Kritiker*innen zu überhören und ihren eigenen Weg zu gehen.
Ausprobieren und Halt geben
Ich weiß sehr genau, wie sich das anfühlt, wenn Kinder über andere Kinder richten, weil sie sich abseits einer gesellschaftlichen Norm bewegen. Dabei ist diese Norm ja total willkürlich und kann sich natürlich auch ändern. Aber es braucht Mut dafür, sich dagegen aufzulehnen und zu sagen: Ich mach das jetzt so, weil MIR das gefällt / wichtig ist.
Ich unterstütze meine Kinder darin, ihren Weg zu gehen. Das ist nicht immer ganz so leicht, denn als Erwachsene kann man manche Szenarien ja durchaus vorhersehen und möchte den Nachwuchs beschützen. Natürlich gab es hier schon viele tränenreiche Momente. Aber immer wieder auch die Erkenntnis: Die Welt ist oft ein besserer Ort als wir glauben und Neugier, Interesse und wachsendes Verständnis findet sich überall.
Wie ihr Rollenklischees im Alltag entgegenwirkt
Vorbilder sein
Die Grenze von geschlechtsneutraler Erziehung liegt oft in den Köpfen von uns Eltern. Wenn wir unseren Kindern bestimmte Kleidungsstücke kaufen und dann mehrfach betonen, wie "süß" oder "wild" sie darin aussehen, ist es nicht verwunderlich, dass sie genau diese Sachen immer wieder tragen möchten.
Vorbilder sind wichtig für Kinder: Wenn ein Mädchen einen Hammer geschenkt bekommt, aber noch nie eine Frau gesehen hat, die einen Hammer in der Hand hält, dann wird sie wohl auch nicht damit spielen. Gelebte Gleichberechtigung ist hier das Stichwort.
Mental Load teilen
Alle können in einer Familie alles, familiäre Aufgaben sind nicht an ein Geschlecht gebunden. Und das solltet ihr euren Kindern auch gemeinsam vorleben. Auf diese Weise zeigt ihr nicht nur, dass ihr eine gleichberechtigte Partnerschaft führt und beide Elternteile sich kümmern, sondern schenkt euch selbst auch mehr Frieden, weil ihr den Mental Load miteinander teilt.
Wenn Papa kocht, Mama den Rasenmäher bedient, beide Eltern Windeln wechseln und Tränen trocknen, lernen Kinder ganz nebenbei, dass Fähigkeiten und Aufgaben nichts mit dem Geschlecht zu tun haben.
Spielzeug und Bücher bewusst auswählen
Achtet darauf, eurem Kind vielfältiges Spielzeug anzubieten, das nicht geschlechtsspezifisch ist. Das bedeutet nicht, dass ihr keine Puppen oder Autos kaufen sollt – aber stellt sicher, dass beide Optionen für alle Kinder verfügbar sind.
Auch bei Büchern lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Gibt es starke, vielfältige Charaktere beider Geschlechter? Werden Stereotype aufgebrochen oder verstärkt? Es gibt mittlerweile viele tolle Kinderbücher, die Geschlechterrollen hinterfragen und Kindern zeigen, dass sie alles sein können, was sie möchten.
Grenzen der geschlechtsneutralen Erziehung akzeptieren
Es gibt Kinder, die möchten nicht geschlechtsneutral aufwachsen. Sie gehen auf in einer rosa-hellblauen Welt, die uns Eltern vielleicht erschreckt. Schluckt euer Unverständnis runter, es ist vollkommen in Ordnung, wenn eure Kinder sich, für den Moment oder auch für immer, in (übertriebenen) Geschlechterklischees wohl fühlen.
Letztlich ist es wohl vor allem wichtig, unvoreingenommen an die Erziehung heranzutreten und dem Nachwuchs eine freie Wahl seiner Lebensentwürfe zu ermöglichen. Macht den Mädchen klar, dass sie stark sind, und erlaubt den Jungs, auch mal sensibel zu sein. Lebt nicht selbst das Klischee – dann ergibt sich der Rest von selbst.