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Kita-Desaster: Ein Vater bringt Systemversagen klar auf den Punkt

Vater geht mit seiner kleinen Tochter an der Hand nach Hause.
© Getty Images / Nadezhda1906

Anfang des Jahres machte dieser Fall Schlagzeilen: Statt sich weiter mit ständigen Notbetrieb-Meldungen und fehlender Planungssicherheit herumzuschlagen, meldete Jannis Johannmeier seine Tochter aus der Kita ab. Damit machte er öffentlich auf den Betreuungsnotstand in Deutschland aufmerksam. Wie es der Familie heute geht und wie Jannis die Kita-Krise mittlerweile sieht.

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Warum ein Vater seine Tochter aus der Kita nahm

Jannis Johannmeier ließ seine damals zweieinhalbjährige Tochter in Bielefeld in einer städtischen Kita betreuen. Doch Anfang des Jahres zog er die Notbremse: Nach monatelangem Notbetrieb kündigte er den Betreuungsvertrag. „Wir hatten null Planungssicherheit“, berichtet er uns. Ständig wechselnde Öffnungszeiten, Personalmangel und unklare Kommunikation machten den Alltag zur Belastungsprobe.

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Die Entscheidung, die Tochter aus der Kita zu nehmen, brachte der Familie Erleichterung – dank der Unterstützung der Großeltern, die die Kleine seit dem Zeitpunkt dreimal wöchentlich betreuen. Doch Jannis weiß: Nicht alle Familien können auf Oma und Opa zurückgreifen. Und auch eine Leihoma ist leider nicht für alle eine Option.

Der Kita-Notstand in Zahlen

Die Situation in deutschen Kitas ist alarmierend:

Diese Zahlen verdeutlichen: Der Fachkräftemangel ist kein temporäres Problem, sondern wird uns mit Sicherheit auch noch die kommenden Jahre begleiten.

Daniela Hamburger

So wertvoll: Verlässlicher Kindergarten

Als wir unsere Tochter für einen Kindergartenplatz registrieren ließen, haben wir noch in Konstanz am Bodensee gewohnt, einer Stadt, in der aktuell 774 (!) Betreuungsplätze fehlen – davon 366 für Kinder unter drei, 408 für Ü3. Auch für uns gab es keinen Platz. Der Betreuungsnotstand war ein (Mit-)Grund, warum wir aus Konstanz weg in den Schwarzwald gezogen sind.

Hier haben wir gleich zweimal Oma und Opa, die gerne ab und zu auf unser Kind aufpassen. Ein absolutes Privileg, ebenso wie der verlässliche Kindergartenplatz, den unsere Tochter hier mittlerweile hat. Das Erzieherinnenteam ist seit fast einem Jahr stabil, so dass wir Eltern keine Angst mehr vor Ausfällen haben müssen. In diesen Zeiten eine Seltenheit und unglaublich wertvoll – für die Kinder und die Eltern.

Daniela Hamburger
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Auswirkungen der Betreuungskrise auf Kinder und Familien

Betroffene Eltern wissen: Der Mangel an qualifiziertem Personal hat direkte Konsequenzen für die Qualität der Betreuung. So erhalten Kinder in personell schlecht aufgestellten Kitas natürlich weniger individuelle Zuwendung und Förderung, was sich negativ auf die sprachliche Entwicklung und Ausbildung sozialer Kompetenzen auswirkt – mit gravierenden Folgen für unsere Kinder aber auch die gesamte Gesellschaft.

Werden die Öffnungszeiten verkürzt oder ist die Kita an manchen Tagen gar komplett geschlossen, zwingt die Eltern darüber hinaus dazu, ständig zu improvisieren, was nicht nur bei Berufstätigen zu erheblichem Stress und Unsicherheit führt. Manche sind gezwungen, die Kinder mit zur Arbeit zu nehmen, wodurch auch Arbeitgeber*innen unter der strukturellen Kita-Krise leiden. "Es gibt nur Verlierer beim Betreuungsnotstand", betont Jannis.

Was ihr notfalls tun könnt, wenn ihr wegen der geschlossenen Kita nicht zur Arbeit gehen könnt, zeigt unser Video:

Poster
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Frühkindliches Bildungssystem am Limit

Klar, dass sich da viele Eltern vom System im Stich gelassen fühlen. "Die Politik steht in der Verantwortung, strukturelle Veränderungen herbeizuführen, um die Qualität und Verlässlichkeit der Kinderbetreuung zu sichern", meint Jannis im Gespräch mit familie.de. Denn seine Situation sei kein Einzelfall, sondern symptomatisch für einen flächendeckenden Notstand in unseren Kitas.

Es bedarf dringend umfassender Reformen, um die frühkindliche Bildung und Betreuung zu sichern. Eltern sollten sich deswegen zusammenschließen, ihre Stimmen erheben und gemeinsam für bessere Bedingungen kämpfen, denn nur so kann sich nachhaltig etwas ändern. Der erste Schritt dazu führt über eure Kommunalpolitiker*innen. Sprecht sie an, wenn es in eurer Gemeinde nicht rund läuft – dann besteht zumindest eine Chance, dass sich etwas ändert.

In Jannis' Fall meldete sich die Kommune mit dem Versuch, die Situation zu verbessern. Gemeinsam mit Bildungsreferentin Judith Wendt wurde nach Lösungen gesucht. "Leider sind auch ihnen die Hände gebunden. Denn die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen versagt in der Kita-Frage auf ganzer Linie", sagt Jannis. "Anscheinend muss erst etwas passieren bis unsere Bildungsministerin endlich handelt. Das Traurige ist, dass die Schwächsten der Gesellschaft dieses Versagen ausbaden müssen."

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Als neuestes, besonders verheerendes Signal der Regierung sieht Jannis die Tatsache, dass das Land NRW die Fördermittel für die sog. "Alltagshelfer*innen" kürzen will. Viele Kitas werden nun dringend benötigte Stunden des Hilfspersonals streichen müssen, die Krise spitzt sich also weiter zu.

"Einzelne Kitas tragen keine Schuld"

Dennoch haken Jannis und seine Familie das öffentliche Betreuungssystem noch nicht ganz ab. Mittlerweile ist die Tochter drei Jahre alt – und im August will die Familie einen Neuanfang wagen: "Oma und Opa wären bereit gewesen, die Betreuung auch weiterhin zu übernehmen. Aber wir versuchen einen Neustart in einer Kita unseres Vertrauens", so Jannis.

"Nach langem Suchen haben wir uns bewusst wieder für eine öffentliche Einrichtung und gegen eine private Betreuung entschieden. Das wäre uns zu elitär gewesen und außerdem möchten wir ja das System nicht verlassen, denn einzelne Kitas tragen keine Schuld an der Misere," betont Jannis. "Wir hoffen sehr, dass es dieses Mal besser läuft."