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Urvertrauen

Ein Baby schreien lassen? In dieser Situation ist es ok!

Baby schreien lassen: Nein, diese Tipps helfen
© getty images / E+ / martin-dm

Das eigene Baby schreien zu lassen, das galt lange Zeit als total normal. Zum Glück haben sich die Zeiten aber geändert. Wissenschaftler*innen und Studien bestätigen: Dein Baby zu trösten, statt es schreien zu lassen, bildet Urvertrauen fürs Leben aus. Es gibt eine Situation, in der das Schreien lassen eines Babys aber dennoch ok ist. 

Euer Baby weint und ihr kümmert euch. Eigentlich ganz normal. Aber statt Ermutigung bekommt ihr Sprüche wie diese zu hören: „Du musst nicht sofort aufspringen, wenn sie zu schreien beginnt!“, „Schreien macht die Lunge stärker!“, oder „Du verwöhnst ihn so doch total“. Vor allem von älteren Generationen kommt häufig der Ratschlag, Babys auch einfach mal schreien zu lassen, damit sie lernen, sich selbst zu beruhigen.

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Das Schreien lassen hält sich insbesondere im Bereich des Schlaftrainings sehr hartnäckig. Die sogenannte Ferber-Methode soll Kindern das Durchschlafen beibringen. Unter anderem im zurecht umstrittenen Ratgeber "Jedes Kind kann schlafen lernen", kommt diese Methode zum Einsatz. Was ihr ausschalten müsstet, um damit erfolgreich zu sein, ist vor allem euren elterlichen Instinkt. Denn der wird euch in aller Regel sagen: Ich lasse mein Baby nicht schreien, sondern nehme es in den Arm, damit es sich sicher und geborgen fühlt.

Andrea Zschocher

Warum gibts das Buch überhaupt noch?

Es gibt ja viele Bücher, die in einer bestimmten Zeit erfolgreich sind. So kann ich schon verstehen, dass "Jedes Kind kann schlafen lernen" rund um den Erscheinungstermin mal erfolgreich war. Die Wissenschaft war damals noch nicht so weit. Aber inzwischen hat sich doch zum Glück so viel geändert. Warum ist dieses Buch und die gesamte Ferber-Methode noch immer so erfolgreich? Warum werden Kinder noch immer mit System schreien gelassen? Müssen sie das Einschlafen antrainiert bekommen, auch auf Kosten der Entwicklung ihres Urvertrauens? Ich bin da wirklich überfragt.

Andrea Zschocher

Darum ist es nicht ok, euer Baby schreien zu lassen

Genau diesem Instinkt solltet ihr unbedingt folgen. Denn Studien und Expert*innen weisen immer wieder darauf hin, dass Schreien lassen nicht die geeignete Methode ist, mit Kindern umzugehen – vor allem, wenn die Kleinen noch jünger als ein Jahr sind. In diesem Alter kann Schreien lassen fatal sein.

Denn warum schreit ein Baby? Weil es einen Grund hat! In aller Regel sind das die ganz ursprünglichen Bedürfnisse nach Wärme, Nahrung, Geborgenheit oder Sauberkeit. Euer Baby kann sich aber auch gar nicht anders verständigen.

Wenn ihr das Schreien ignoriert, riskiert ihr, das Urvertrauen eures Babys nachhaltig zu beschädigen. Eine weitere Unwahrheit, die seit Jahrzehnten verbreitet wird: Wer sein Kind tröstet, verstärkt das Weinen. Auch diese unzutreffende Aussage basiert auf dem Prinzip: Schreien lassen ist gut fürs Kind. Das stimmt aber nicht. Tatsächlich ist das Gegenteil richtig.

"Weinende Kinder brauchen Trost und sollen ihn auch bekommen.“
Hartmut Kasten, Professor für Entwicklungspsychologie und Frühpädagogik
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Der Rat von Expert*innen lautet daher immer: Wenn ein Baby schreit, sollten Eltern es umgehend beruhigen.

Baby schreien lassen: Aus diesem Grund ist es kurzfristig ok

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Wenn ihr vom Schreien eures Kinds so belastet seid, dass ihr Gefahr lauft es zu schütteln, grob anzupacken, anzuschreien oder anderweitig zu misshandeln, dann legt es lieber für kurze Zeit sicher an einem Ort ab und beruhigt euch erstmal. Denn ein Baby zu schütteln, kann tödlich enden. Um euch davon abzuhalten, ist eine Pause dringend angeraten. Wenn niemand euer Kind übernehmen kann, dann legt es sicher ab, so dass es sich in eurer Abwesenheit nicht selbst verletzt oder irgendwo herunterfällt, und verlasst für kurze Zeit den Raum. Diesen Moment des Schreien lassens kann euer Nachwuchs langfristig sehr viel besser verarbeiten als eine Affekthandlung, die es für das weitere Leben negativ prägt.

Baby schreien lassen, um das Einschlafen zu lernen

Wir alle brauchen Schlaf. Und auch wenn uns bewusst ist, sobald ein Baby auf die Welt kommt, wird das mit dem Ausschlafen erstmal schwierig, niemand kann uns auf den akuten Schlafmangel und unsere Überforderung vorbereiten. Es ist vollkommen verständlich, dass ihr übermüdet einfach nur Ruhe haben wollt. Daraus resultiert dann auch, dass ihr vielleicht Schlaflernprogramme oder das Schreien lassen eures Babys ausprobiert.

Allerdings ist es vollkommen normal, dass Säuglinge noch nicht durchschlafen können. Ihr Tag-Nacht-Rhythmus ist noch nicht ausreichend entwickelt. Auch reicht die Nahrung in den ersten Wochen nicht für die ganze Nacht. Zudem haben die kleinen Babys noch nicht gelernt, sich selbst zu beruhigen. Den Daumen als Beruhigungsmittel zu benutzen oder sich ins Bett zu kuscheln, müssen sie erst noch lernen – das braucht Zeit und kann durch Aufmerksamkeitsentzug nicht beschleunigt werden.

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Auch die La Leche Liga rät ausdrücklich von Schreien lassen und anderen Formen von Schlaftraining ab. Die Organisation ist der Meinung, dass der Druck von Außen und unrealistische Erwartungen an Eltern die anstrengende Babyzeit erschweren und rät euch deshalb, auf euren Instinkt zu hören und die Bedürfnisse eures Babys zu erfüllen.

Zu wissen, dass das nächtliche Aufwachen normal ist und irgendwann aufhört, hilft Eltern, ein positiveres Gefühl zu entwickeln. Viele Eltern bleiben aus Instinkt bei ihrem Baby, während es einschläft und vermeiden das aufwühlende Weinen. Manche Mütter entscheiden sich dafür, ihr Baby nachts direkt neben sich zu lassen und finden es so viel einfacher, als eine unrealistische Schlaf-Routine anzustreben.
La Leche League Großbritannien

Was passiert, wenn man ein Baby schreien lässt?

Wenn euer Baby schreit, aber nicht von euch beruhigt wird, steigt sein Stresslevel. Es lernt schnell, auf eine Art Notfallprogramm im Gehirn umzuschalten, das dem Überleben in absoluter Todesbedrohung dient. Euer alleingelassene Baby hat also Todesangst. In solch einer Situation kann sich das Gehirn nicht gut entwickeln. Euer Kind lernt nicht, mit Stress umzugehen.

Eine australische Studie, die die Ferber-Methode mit anderen Zu-Bett-geh-Ritualen vergleicht, zeigte zwar, dass Babys, die nach der Ferber-Methode zu Bett gebracht wurden, keinen sofortigen Anstieg des Cortisol-Spiegels vorweisen. Doch über den Tag verteilt, zeigen sich bei den Ferber-Babys signifikante Veränderungen des Cortisol-Spiegels im Blut, wie eine Studie des Department of Child and Adolescent Psychiatry des Sophia Children's Hospitals in Rotterdam zeigt. Das Stress-System ist also reaktiver – es springt viel schneller an. Das Resultat sind Ängstlichkeit, Aggression oder Verhaltensstörungen.

Was bedeutet es für die Eltern, das Baby schreien zu lassen?

Die Studie der australischen Forschenden zeigt außerdem, dass die Anwendung der Ferber-Methode bei Müttern zwar zu einer kurzfristigen Senkung des Stresslevels führt, dieses nach drei Monaten aber auf das vorherige Niveau zurückkehrt. Ihr profitiert also statistisch betrachtet auch nur für eine geringe Zeit vom Ferbern.

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Studien, wie die im britischen Magazin „New Scientist“ erschienenen Untersuchungen des Teams um Ian St James-Roberts vom Erziehungswissenschaftlichen Institut der Universität London, zeigen auch, dass Säuglinge, deren Bedürfnisse sofort gestillt werden, insgesamt deutlich weniger schreien als solche, denen die Eltern weniger Zeit widmen. Was die Studie dabei nicht im Blick hat, sind Schreibabys, bei denen trotz Bedürfnisbefriedigung weiter geschrien wird.

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Kann man ein Baby zu sehr verwöhnen?

Wie eingangs schon kurz angerissen, gibt es neben dem Schreien lassen von Babys auch die Debatte, dass viele Eltern Angst haben, ihr Kind zu sehr zu verwöhnen, wenn sie sich um sie kümmern. Ich kann euch beruhigen: Säuglinge und Kinder unter einem Jahr kann man kaum verwöhnen.

„Bei den ganz Kleinen stehen körperliche Bedürfnisse im Vordergrund – da ist es nur natürlich, auf sie einzugehen und sie nicht allein zu lassen.“
Psychologie-Professorin Sabina Pauen

Im ersten Lebensjahr stehen vor allem die Versorgung der Grundbedürfnisse und liebevolle Fürsorge im Mittelpunkt, ein Verwöhnen ist hier kaum möglich. Ein Entziehen der Pflege kann dagegen fatal sein. Nähe und Körperkontakt zu einer Bezugsperson ist für Babys eine Art Normalzustand, es kommt praktisch mit dieser Erwartung zur Welt. Spürt es diese Nähe nicht, fehlt ihm Sicherheit. Es weiß nicht einmal mehr, ob seine Eltern überhaupt noch existieren. Nähe gibt dem Baby also Sicherheit. Es knüpft nicht die Verbindung: „Aha, wenn ich schreie, kommt jemand. Also schreie ich einfach ganz viel, damit Mama macht, was ich will.“

Babys verwöhnen kann den IQ verbessern

Die Auswirkungen von ständigem Körperkontakt von Kind und Bezugsperson wurden in einer lang angelegten Studie untersucht. Die Wissenschaftler verglichen das sogenannte Känguruhen, also intensiven und ständigen Körperkontakt mit Frühchen, mit traditioneller Versorgung von zu früh geborenen Kindern. Die Studie betrachtete dabei nicht nur die unmittelbaren Effekte des Känguruhens, sondern auch die Auswirkungen im Verlauf von 20 Jahren.

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Das Ergebnis: Die Frühchen, die das Känguruhen erfahren haben, wiesen 20 Jahre später einen höheren IQ und sogar besser bezahlte Jobs auf als die Kinder der Kontrollgruppe. Ein „zu viel“ an Fürsorge oder Pflege kann es im ersten Leben des Babys also kaum geben.

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