Nicht jedes Kind reagiert gleich auf gute und schlechte Schulnoten. Je nach Temperament wecken miese Zensuren beim einen den Ehrgeiz, der andere macht auf cool, manche machen sich selbst unerträglichen Druck und wieder andere werfen sofort die Flinte ins Korn.
„Der Zusammenhang zwischen Leistung und Schulnote kommt bei den Schülern nicht immer an. Und ob eine 3 als positive oder negative Note gesehen wird, ist von Schüler zu Schüler unterschiedlich“, sagt die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Beatrix Palt. Das sind die gängigsten fünf Schulnoten-Typen unter den Schülern.
1. Schulnoten-Typ: Das "alles egal"-Kind
An manchen Schülern scheint alles abzuprallen: Tadel wegen nicht gemachter Hausaufgaben, schlechte Noten – alles egal. Da hilft kein Loben, Schimpfen oder Erpressen. Martina Dollinger aus München hat so eine Phase mit ihrem Sohn Tobias durchgemacht. „Mit dem Wechsel in die 3. Klasse und einer anderen Lehrerin fing es an. Ein 5er nach dem nächsten segelte uns ins Haus.“ Tobias war der Meinung: „Zensuren sind mir total egal.“
Der Rat der Lehrer: Tobias sollte in ein Internat, ihm würde nur eine strenge Hand helfen. Martina Dollinger: „Aber mein Mann hat gesagt, dass wir gerade in dieser schwierigen Situation zu unserem Sohn halten müssen.“ Die Wende kam, als Tobias nach der 4. Klasse in eine andere Schule wechselte. Plötzlich war Schluss mit „egal“. Die neue Lehrerin versteht es einfach toll, das Positive an den Schülern hervorzuheben, sie zu loben und ihnen so Leistung abzuverlangen. Heute bringt Tobias wieder 2en nach Hause und ist hoch motiviert.
Experten-Fazit: Die Gleichgültigkeit ist eine Abwehrreaktion. Sie wird als Strategie eingesetzt, um sich nicht mit schlechten Schulnoten und ihren Konsequenzen auseinander setzen zu müssen. Die Gründe für die Egal-Haltung sind unterschiedlich: verdrängte Enttäuschungen, Depressionen, fehlender Mut zu Auseinandersetzungen, zu viel Druck und Kontrolle der Eltern.
Tipps für die Eltern: Üben Sie sich in Geduld. Druck würde die Abwehrreaktionen nur verstärken. Trotzdem solltet ihr sachlich euren Unmut zum Ausdruck bringen und dem Kind sagen, dass diese Einstellung nichts bringt. Provoziert bei eurem Kind ruhig mal Wut. Wenn es die aufgestauten Gefühle aus sich rauslässt, kann viel leichter über die Probleme und ihre Lösung geredet werden – auch wenn es erst mal etwas laut wird. Setzt euch mit dem Kind zusammen und findet gemeinsam mit ihm (oder ihr) heraus, wo es hapert, was verbessert werden kann. Stachelt seinen Ehrgeiz an, indem ihr es für gute Noten lobt (macht ihr sicher sowieso schon) oder ihr eine tolle gemeinsame Aktion ausdenkt (klettern gehen, ins Wellenbad oder irgendwo anderes, was das Kind gerne mag).

2. Schulnoten-Typ: Das Unter-Druck-Kind
Es gibt Schüler, die sich selbst so unter Druck setzen, dass sie dadurch Lernblockaden aufbauen oder völlig verunsichert sind. Das führt häufig dazu, dass sie wesentlich schlechter in der Schule abschneiden, als es eigentlich ihren Leistungen entspricht. Rebecca aus Hamburg gehört zu diesem Schüler-Typ. „Sie möchte zu viel. Sie möchte am liebsten in den meisten Fächern sehr gute Noten. Sie will es mit aller Macht und ist dann oft nervös und unkonzentriert. Heraus kommt eine schlechte Zensur“, erzählt ihre Mutter.
Rebecca hat die Messlatte für sich selbst sehr hoch gehängt und wird wütend, wenn sie eine schlechte Zensur bekommt: „Ich weiß, dass ich es bestimmt besser kann.“ Obwohl ihre Mutter nicht schimpft, mag Rebecca schon die kleinste Kritik an einer schlechten Zensur nicht hören. Mittlerweile hat Rebecca ein Ventil für ihre Tochter gefunden: Das Mädchen mimt nach der Schule in einer Schauspielgruppe mit. Das macht ihr Spaß, sie findet Anerkennung und wird so etwas vom selbst gemachten schulischen Leistungsdruck abgelenkt.

Experten-Fazit: Wenn Schüler sich so sehr unter Druck setzen, dann fehlt es ihnen an Distanz zu Schulangelegenheiten, an einer gesunden Einstellung zur Leistung und an Selbstbewusstsein. Diese drei Dinge brauchen sie aber, um ihre Schulnoten zu verbessern. Sie müssen Kraft aus der Ruhe schöpfen und lernen, dass bei einer schlechten Zensur nicht die Welt zusammenbricht. Sie müssen den Druck und die Ängste wieder abbauen, die sie sich durch überhöhte Anforderungen selbst aufgebaut haben.
Tipps für die Eltern: Reagiert so gelassen wie möglich auf schlechte Noten. Wenn das Kind eine schlechte Zensur bekommt, versucht gemeinsam die Gründe dafür zu finden. Setzt es keinesfalls unter Druck. Angedrohte Strafen oder Druck motivieren euer Kind nicht, sondern lassen es aus Angst handeln.
3. Schulnoten-Typ: Das Frust-Kind
Manche Schüler verzweifeln an ihren schlechten Leistungen, sind frustriert, wenn es nicht besser wird und verlieren so den Spaß am Lernen. Sie akzeptieren nicht die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Ina aus Rostock ist eine Vertreterin dieser Schüler-Spezies. In der Grundschule kam sie noch mit guten Zensuren nach Hause. Aber mittlerweile werden ihre Leistungen immer schlechter. „Ich verlange ja nicht, dass sie eine Musterschülerin wird. Aber heute bin ich schon froh, wenn sie mal eine 3 anbringt“, stöhnt ihre Mutter Anke. Sie sieht die Probleme vor allem in der Lernfaulheit ihrer Tochter. In Fächern, in denen keine Verbesserung eintritt, hat Ina resigniert und unternimmt auch keine Anstrengungen zur Verbesserung. Zum Beispiel in Biologie. Da steht das sonst so aufgeweckte Kind auf 5 und gilt inzwischen als versetzungsgefährdet. Spricht Inas Mutter sie darauf an, bekommt sie aber nur frustriert zu hören: „Wozu brauche ich schon Biologie?“

Experten-Fazit: Wie in einem Teufelskreis fühlen sich diese Kinder gefangen. Bei schlechten Noten stecken sie den Kopf in den Sand, fühlen sich als Versager und werden immer handlungsunfähiger: "Das kann ich eh nicht!". Für Schüler mit Lernschwierigkeiten ist das fatal. Dabei gibt es keinen Grund, sich als Versager zu fühlen. Denn wer sich Mühe gibt und sein Bestes versucht, braucht sich nicht zu schämen. Entscheidend ist eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und eine positive Einstellung zu sich selbst. Ruhiger wird solch ein Schüler erst, wenn er von sich sagt: „Ich habe alles getan - mehr ist nicht drin!“
Tipps für die Eltern: Erwartet von eurem Kind nur Schulnoten, die es auch wirklich schaffen kann. Verlanget nicht zu viel. Pickt nicht nur die Fehler heraus, sondern motiviert euer Kind, indem ihr es beispielsweise mal zu einem Thema abfragt. Für alles, was es weiß, bekommt es ein ernst gemeintes Lob. Trennt auch die Freude am Lernen von den schulischen Leistungen. Das heißt: Vermittelt ihm Freude beispielsweise an einem Buch, einem Referat, an naturwissenschaftlichen Experimenten, an sportlicher Betätigung. Lobt das Kind für jeden Lernfortschritt und sagt ihm immer und immer wieder, dass es stolz auf sich sein kann und dass ihr stolz auf euren Kind seid.
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4. Schulnoten-Typ: Das Natürlicher-Ehrgeiz-Kind
Schüler, die sich sowohl von guten wie schlechten Zensuren motivieren lassen, haben einen natürlichen Ehrgeiz. Sie haben Freude am Lernen und an Leistung. Bei einer guten Note sind sie glücklich und bestrebt, es beim nächsten Mal noch besser zu machen. Bei einer schlechten Zensur wollen sie erst recht beweisen, was in ihnen steckt. Franziska Seise aus Leipzig ist so eine. Für sie sind gute Zensuren wichtig für eine erfolgreiche berufliche Zukunft. „Ich will nämlich mal Ärztin oder Journalistin werden. Da müssen die Zensuren stimmen“, sagt das selbstbewusste Mädchen. Wenn sie in einer wichtigen Arbeit eine 1 schafft, erzählt sie es gleich ihren Freundinnen oder ruft sogar zu Hause an. Bei schlechten Noten lässt Franziska keinen Stress aufkommen: „Die versuche ich gleich beim nächsten Mal wieder auszubügeln.“
Experten-Fazit: Diese Kinder sind sehr selbstständig und gehen souverän mit ihren Noten um. Sie übernehmen Verantwortung für gute und schlechte Zensuren. Der Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen schult ihr Selbstbewusstsein. Misserfolge werfen sie nicht um, sondern spornen sie an.
Tipps für die Eltern: Solange das Kind aus seinen Schulnoten selbst seine Konsequenzen zieht und sich motivieren lässt, können sich die Eltern zurückhalten. Falls es aber doch einmal an einer schlechten Note verzweifelt sein sollte, seid sofort Stelle und tröstet es. Bestärkt es in seinem Elan, Leistung zu bringen. Das gilt auch, wenn das Kind sich von einer 5 auf eine 4 hochrappeln will. Bei einem Durchhänger erinnert es ruhig an seine Pläne.

5. Schulnoten-Typ: Das Glück-und-Pech-Kind
Vor allem Grundschüler, für die Zensuren etwas Neues sind, verwechseln Schulnoten mit Sympathie und Antipathie des Lehrers. Auch bei Svenja Klaus aus Schmalfeld (Schleswig-Holstein) hatte es in den ersten Schuljahren den Anschein, dass sie eine schlechte Zensur als Liebesentzug der Lehrerin verstand. „Bei einer guten Zensur kam sie immer zu mir und hat sich bedankt. Als sie in Mathe und Deutsch schlechte Noten bekam, war sie ziemlich betrübt. Ich habe ihr aber gesagt, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat und dass ich sie trotzdem gern habe“, berichtet ihre Lehrerin Dörte Krüger. Irgenwann platzte aber der Knoten bei Svenja. Wohl auch, weil ihre Mutter ihr sachte klarmachte, dass Zensuren etwas mit Fleiß, Leistung und Lernen zu tun haben. Heute sagt das Mädchen selbst: „Wenn ich lerne und alles weiß, gibts eben eine gute Zensur. Und wenn nicht, na ja, dann gibts eben auch mal eine schlechte.“
Experten-Fazit: Statt Verantwortung zu übernehmen, ergeben sich diese Schüler manchmal in ihr Schicksal. Sie verstehen nicht, dass die Zensur von ihrem Lern-Einsatz abhängt. Eine schlechte Note empfinden sie als persönliche Ablehnung des Lehrers, eine gute als große persönliche Wertschätzung. Zensuren sind für sie reine Glückssache und Sympathiebeweis. Ihnen fällt es schwer, aus der Notengebung Schlussfolgerungen für ihr weiteres Lernen zu ziehen.

Tipps für die Eltern: Aufklärung ist die Grundlage für Verantwortung. Macht dem Kind von der ersten Klasse an behutsam, aber deutlich klar, dass Lob und gute Schulnoten für Einsatz und Lernfortschritte vergeben werden. Bezieht Stellung sowohl bei guten als auch bei schlechten Noten. Lobt bei guten Zensuren den Einsatz Ihres Kindes, gebt bei schlechten Noten eine ehrliche Einschätzung seiner Leistungen und sucht mit ihm die Fehler in Diktat oder der Mathearbeit. Erklärt ihm und findet einen gemeinsamen Lösungsweg. Nehmt aber dem Kind nie die Verantwortung fürs Lernen ab. Schüler lernen weder für die Lehrer noch für die Eltern, sondern immer für sich selbst.
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