Kinder provozieren gerne mal. Wo Sie Ihrem Kind die Grenzen aufzeigen sollten und wie Ihnen das in der Erziehung gelingt

Wie Kinder ihren Eltern auf die Nerven gehen können, wissen meist ganz genau. Es sind eigentlich kleine Dinge, die den Familienfrieden richtig stören können: Quengeln, dazwischenreden, wenn Mama telefoniert, morgens herumtrödeln oder wenn dem Kind erst beim Ins-Bett-Gehen einfällt, dass es noch Vokabeln lernen muss.
Die Grenzen von Kindern sollten immer nachreguliert werden
Das bedeute nicht, dass Erwachsene alles tun sollten, was Kinder von ihnen verlangen, nur damit sie nicht nerven, sagt Largo. „Kinder bereiten uns dann am wenigsten Mühe, wenn wir ihre Bedürfnisse zuverlässig und angemessen befriedigen.“ Dabei sollte man ihnen weder alles abnehmen, noch ihre Fähigkeiten ständig überschätzen. „Da sich Kinder immer weiterentwickeln, erfordert das ein ständiges Justieren und Abwägen“, sagt Largo. „Die perfekte Übereinstimmung aller Familienmitglieder lässt sich - wenn überhaupt - immer nur für eine kurze Zeit erreichen.“
Also keine Sorge, wenn es in Ihrer Familie ab und zu mal nicht so harmonisch zu geht. Das ist völlig normal.
Typische "Auf-die-Palme-bring"-Situationen entschärfen
- Quengeln - Unterbrechen Sie Ihr Kind und bitten Sie es freundlich, seine Bitte in einem normalen Tonfall zu wiederholen. Machen Sie vor, was Sie meinen, damit es den Unterschied hört. Kommen Sie dem Wunsch erst nach, wenn „normal“ darum gebeten wurde.
- Unordnung - Bleiben Sie gelassen, Kinder brauchen ein gewisses Maß an Unordnung, um kreativ zu sein. Breitet sich das Chaos auf die ganze Wohnung aus, hilft die Müllsack-Methode: Alles, was außerhalb des Kinderzimmers herumliegt, verschwindet im Keller.
- Trödeln - Von Fünfjährigen können Sie keine strikte Pünktlichkeit erwarten. Planen Sie daher Zeitpuffer ein. Trödelt dagegen Ihr Neunjähriger, lassen Sie ihn spüren, wie es ist, wenn er zu spät oder nicht richtig angezogen in der Schule erscheint.
Experteninterview: Kindern Grenzen richtig setzen
Familie&Co: Nerven Kinder heute mehr als früher?Prof. Dr. Dietrich Petersen: Dazu gehören immer zwei: einer, der nervt, und einer, der sich nerven lässt. Insofern sollten wir uns eigentlich fragen: Nerven uns Kinder heute mehr als früher? Unbedingt! Vitale Lebensäußerungen von Kindern betrachten wir zunehmend als „Umweltverschmutzung“. Und Eltern sind heute lange nicht mehr so belastbar. Das „Aushalten“ als Tugend, das bloße Zuhören und Aufmerksamsein oder auch der geduldige Umgang mit quengelnden Kindern steht nicht mehr auf unserem gesellschaftlichen Lehrplan.
Woran liegt das?
Der Wechsel vom Kindsein in die Erwachsenenwelt verschiebt sich immer weiter nach hinten. Viele finden daher nur schwer in ihre Erwachsenen-Rolle und in die Eltern-Verantwortung.
Haben wir falsche Erwartungen an Kinder?
Leider ja. Im Qualitäts- und Zertifizierungswahn suchen wir zunehmend auch das „Norm-Kind“, das jeden Entwicklungsschritt zur vorgegebenen Zeit macht. Kinder sind aber individuelle Wesen, die wir im Rahmen ihrer Möglichkeiten fördern müssen. Wenn wir Großen nach zehn Minuten Gottesdienst schon abschweifen, wie sollen dann Erstklässler 45 Minuten lang still sitzen?
Nerven sich Eltern und Kinder, weil sich viele Eltern auf einen Verhandlungsstil verlegt haben, statt klare Grenzen zu setzen?
Langes Diskutieren dient meist einzig der Beruhigung der Eltern, die ihren Kindern oft nichts mehr zumuten wollen. Klare Grenzen geben Kindern Halt und Orientierung, sie müssen aber auch passen, wie ein guter Rahmen zum Bild. Manche Eltern zögern unendlich lang, um dann viel zu hart zu reagieren.
Wie viel Freiheit brauchen Kinder, um sich richtig zu entfalten?
Kinder ständig „bei Fuß“ gehen zu lassen, ist unmenschlich. Aber deswegen dürfen sie noch lange nicht Nachbars Blumenbeet zertrampeln. Freiheit bricht sich immer an den Rechten der anderen.
Wie viel Einsicht kann ich in welchem Alter erwarten?
Ein Fünfjähriger sieht ein, dass er Ärger bekommt, wenn er Grenzen überschreitet. Ein Neunjähriger versteht bereits im Ansatz, warum ich mich aufrege. Und mit zwölf Jahren haben Kinder bereits gute Argumente, um Eltern die Absurdität mancher Ansichten zu verdeutlichen.
Wo die Grenzen von Kindern sein sollten
Kaum eine Mutter, kaum ein Vater ist nie von Kindern genervt. Und wir reden hier nicht von Kindern, die am Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) oder Hyperaktivität leiden. Sondern von ganz normalen, aufgeweckten Jungs und Mädchen, die also toben, schreien und lärmen, ohne sich darum zu kümmern, dass der Nachbar gern ausschlafen würde. Und die sehr launisch werden können, wenn sie müde sind oder Langeweile haben. Die Frage, die man sich aber als Elternteil - oder Nachbar - hin und wieder stellt, lautet: Wo sollte man Kindern Grenzen aufzeigen? Wo hört „Lass sie doch, es sind eben Kinder!“ auf und fängt „Die ist eine Zumutung!“ an? Seit der wilhelminische Leitsatz „Kinder soll man sehen und nicht hören“ abgeschafft wurde, gibt es keine klar definierte Regel mehr. „Wie Sie Kindern Grenzen setzen hängt davon ab, wie viel Sie - oder Ihre Nachbarn - aushalten“, sagt die Diplom-Psychologin Angelika Faas. „Was manche nervt, finden andere lustig.“ So machen den einen schon heftig baumelnde Kinderbeine im Bus wahnsinnig, während ein anderer wilde Tobegeräusche im Treppenhaus wunderbar lebendig findet. „Ein gewisser Lärmpegel gehört aber zum Kindsein dazu“, stellt Faas klar. „Kinder brauchen das Erlebnis, verschiedene Lautstärken auszuprobieren, um die Resonanz zu spüren und zu sehen, was sie damit auslösen.“
Kindererziehung: Wann Sie Kindern Grenzen setzen sollten
Kindern Grenzen setzen: Für jede Familie individuell
Jede Familie muss für sich definieren, was erträglich ist und wo man seinen Kindern die Grenzen setzen möchte. Und sich überlegen, wie sie nicht oder schwer Erträgliches reduzieren kann. Manches - wie ständige Quengel-Arien oder Chaos im Kinderzimmer - lässt sich mit Familienregeln aus der Welt schaffen. Anderes lässt sich schwerer regeln. „Eltern müssen sich genau überlegen, was kann das Kind bereits verstehen, was müssen wir noch eine Weile aushalten, bis es älter ist“, sagt Angelika Faas. So könne man von den meisten Dreijährigen kaum erwarten, dass sie während eines Fünf-Gänge-Menüs weder kleckern noch zappeln. Ein Neunjähriger hingegen müsste es locker schaffen, sich richtig zu benehmen. „Es kommt aber auf die Prioritäten der Eltern an, wo sie Ihren Kindern die Grenzen setzen. Wenn den Eltern Tischmanieren wichtig sind, werden sie darauf achten. Werden sie zu Hause aber nicht geübt, wird mein Kind sie auch nicht lernen“, sagt Faas.
Wie es gelingt Kindern Grenzen zu setzen
Aufmerksamkeit wird lautstark eingefordert
Erwachsene seien heute schnell von Kindern genervt, weil sie ein falsches Bild von Kindern haben, sagt der Schweizer Kinderarzt und Erfolgsautor Remo H. Largo. Kein Wunder: Viele hätten heute gar keine Erfahrung mehr mit Kindern - bis die eigenen kommen. „Sie unterschätzen das Maß an Aufmerksamkeit, das ein Kind braucht, und fühlen sich gestresst, weil sie ihren eigenen Interessen zu wenig nachgehen können“, sagt Largo. „Doch das Kind wird diese Aufmerksamkeit - notfalls lautstark - einfordern.“ Eltern dürften es sich nicht zu einfach machen wollen, sagt der Mediziner. „Kinder sind zeitintensiv, weil sie uns als Vorbilder brauchen. Das kann mühevoll sein, dafür braucht man Zeit und Geduld. Aber Kinder dürfen zu Recht von uns verlangen, dass wir uns für sie interessieren und mit ihnen gemeinsam etwas unternehmen.“