Einzelkinder sind egoistisch, altklug und verwöhnt? Von wegen! Vorurteile gegenüber dem Einzelkind halten sich hartnäckig. Dabei sind die Familienverhältnisse viel wichtiger als die Geschwisterzahl. So sieht die Studienlage aus.
Wie viele Einzelkinder gibt es in Deutschland?
Laut destatis.de wuchsen in 2017 in Deutschland 31,2 % der Kinder ohne Geschwister auf. 44,5 % mit einem Geschwisterkind, 16,9 % mit zwei Geschwistern und 7,4 % mit drei oder mehr Geschwistern. Es ist also ein absolut gängiges Familienmodell, auch wenn sich eine Ein-Kind-Familie häufig rechtfertigen muss, warum denn kein Geschwisterchen kommt.
Was fehlt Einzelkindern? Fehlt überhaupt etwas?
Einzelkinder sind unsensibel und rücksichtslos - so lautet das landläufige Klischee. Die Wahrheit ist komplizierter, das brachten differenzierte, wissenschaftliche Vergleiche von Einzel- und Geschwisterkindern in den letzten Jahren ans Tageslicht.
Entgegen der alten Annahme, dass Einzelkinder schlechte Teamplayer sind, weiß man heute, dass oft sogar das Gegenteil der Fall ist. Gerade weil Einzelkinder die elterliche Nähe ungeteilt genießen können, entwickeln sie eine große Sensibilität für andere. Oft sorgen Einzelkinder in Gruppen für Ausgleich oder schaffen es, gegnerische Parteien zu versöhnen.
„Was ihnen aber häufig fehlt, ist die Rücksichtnahme“, berichtet Professorin Rollett. „Einzelkinder wissen viel, weil sie häufig über Lerngelegenheiten verfügen, die Geschwisterkinder in dieser Form nicht haben. Dadurch, dass sie mit ihrem Wissen nicht hinterm Berg halten, wirken sie leider schnell besserwisserisch und angeberisch.“
Auch an Mitgefühl fehlt es Einzelkindern häufig, so ein anderes Ergebnis der Forschung. Für Professor Hartmut Kasten, Entwicklungspsychologe und Pädagoge an der Universität München, ist das nicht weiter verwunderlich. Schließlich haben Einzelkinder in jungen Jahren wenig Gelegenheit, sich in die Gefühlslage anderer Menschen hineinzuversetzen. „Mitgefühl wird in frühester Kindheit erlernt, wenn einer anderen Person ein Missgeschick widerfährt. Geschwister erleben solche Situationen oft im alltäglichen Zusammensein“, erläutert Kasten, der kürzlich das Buch „Einzelkinder und ihre Familien“ (über Amazon für 19,95 €) herausgegeben hat.
Ihr wollt mehr Lesestoff zum Thema Einzelkinder? Dann empfehlen wir das Buch "Lob des Einzelkindes: Das Ende aller Vorurteile" von Brigitte Blöchlinger (über Amazon für 14,90 €).
Einzelkind oder Geschwister?
Geschwister haben für die Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Bedeutung, was aber nicht bedeutet, dass Familien das nicht auch anders kompensieren können: Über Geschwister lernen wir und probieren uns aus: Machtgefüge werden getestet und umgekehrt, Geschwistern rangeln und lügen sich an, um sich einen Vorteil zu verschaffen, sie lernen, sich durchzusetzen und eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen.
Dennoch zeigt sich in Studien: Ob wir mit oder ohne Geschwister aufwachsen, prägt vielleicht in gewissem Maße unsere Kindheit - nicht aber automatisch unser ganzes Leben.
Typische, verallgemeinerbare Charaktereigenschaften von Einzelkindern gibt es so gut wie nicht. Im Erwachsenenalter kann man Einzelkinder kaum noch von Geschwisterkindern unterscheiden. Das Schicksal serviert einem immer wieder neue Karten - Leben ist ein Prozess, und die Persönlichkeit verändert sich bis ins hohe Alter
Prof. Kasten
Wie es ist Einzelkind zu sein, erzählen Einzelkinder im Buch "ALLES FÜR EINEN Einzelkinder erzählen" von Annette Bracza (über Amazon für 9,90 Euro).
Einzelkind gleich Einzelkind?
Zudem ist es unmöglich, von dem Einzelkind zu sprechen, da sich die Familienverhältnisse zu sehr unterscheiden:
- Da ist zum Beispiel das Kind, das bei einer alleinerziehenden Mutter aufwächst, für die es fast ein Partnerersatz ist.
- Oder das Kind, dessen Eltern beide berufstätig sind und für die deswegen ein zweites Kind nicht infrage kommt.
- Oder das seit vielen Jahren ersehnte Kind einer älteren Mutter, die eigentlich gerne noch mehr Kinder gehabt hätte, sich nun aber voll auf dieses eine Wunschkind konzentriert.
- Vielleicht will es einfach mit einem zweiten Kind nicht klappen.
So unterschiedlich die Gründe dafür sind, dass Kinder ohne Geschwister bleiben, so verschieden ist auch das Umfeld, welches die kleinen Persönlichkeiten prägt. „Das zeigt, dass es das typische Einzelkind überhaupt nicht gibt.
Wir wissen nur, dass Einzelkinder etwas häufiger als Geschwisterkinder in Ein-Eltern-Familien anzutreffen sind oder in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, also in Familien, die vom Normalfall der Kernfamilie abweichen“, so Professor Hartmut Kasten.
Werden die Lebensumstände von Einzelkindern genauer beleuchtet, zeigt sich außerdem, dass die meisten Einzelkinder in Verhältnissen aufwachsen, die denen von Geschwisterkindern weitgehend entsprechen. So haben sie zum Beispiel genauso häufig Kontakt zu Kindern in ihrem Umfeld, haben eine ähnlich gute Beziehung zu den Eltern, wachsen in vergleichbaren finanziellen Verhältnissen auf.
Sind Einzelkinder klüger?
Ein anderes Klischee von Einzelkindern hingegen scheint sich aber doch zu bewahrheiten: Amerikanische Studien zeigen, dass Einzelkinder in der Schule erfolgreicher sind und höhere Abschlüsse erreichen. Das gilt auch für deutsche Einzelkinder, bestätigt Professor Kasten: „Sie haben häufig eine höhere Leistungsmotivation, was oft in einer besseren Schul- und Berufslaufbahn gipfelt.“
Auch die Tatsache, dass viele Einzelkind-Eltern ihre Aufmerksamkeit allein auf ein Kind konzentrieren und entsprechend höhere Leistungserwartungen haben, trägt dazu bei, dass Einzelkinder erfolgreicher in der Schule sind.
Einzelkind: Warum eigentlich nicht?
Ein Einzelkind ist nicht einsam, zumindest nicht einsamer, als es auch Kinder mit Geschwistern sein können. Denn auch wenn man Geschwister um sich hat, kann man einsam sein. Zudem kennt es das Einzelkind auch nicht anders.
Vorteile, die für ein Einzelkind sprechen, lassen sich so einfach gar nicht ausmachen. Denn wo ein Vorteil ist, findet sich auch sicher ein Nachteil. Es kommt ja auch immer auf die Familiensituation an. Studien zeigen, dass in Großstädten mehr Einzelkinder leben, da die Wohnungen kleiner sind. Arbeiten beide Elternteile, kommt auch seltener ein Geschwisterkind hinzu.
Familien mit einem Einzelkind sind unter Umständen finanziell besser gestellt, da die Eltern mehr arbeiten können und bekanntermaßen ein Kind weniger kostet als mehrere. Ausnahmen bestätigen die Regel! Dafür sind die Eltern wahrscheinlich längere Zeit die Spielpartner ihres Kindes.
Einzelkind: ja oder nein?
Das muss einfach jede Familie für sich entscheiden. Manchmal spielt das Leben ja auch anders als ursprünglich geplant. Keiner von uns weiß, wie es mit Kind ist. So entscheiden Familien sich auch einfach um, nachdem das erste Kind da ist. Vielleicht tun sich auch super Chancen im Job auf? Wichtig ist, dass ihr als Familie damit fein seid. Der Rest ist unwichtig!
Wie ist ein Einzelkind zu erziehen?
Grundsätzlich ist ja jedes erstgeborene Kind eine Zeit lang Einzelkind. Würdet ihr dann in der Erziehung einen Unterschied machen, ob es ein Einzelkind bleiben soll oder irgendwann noch ein Geschwisterkind bekommt? Wahrscheinlich nicht, oder? Insofern schaltet den Kopf einfach aus und seid für euer Kind da.
Ein Einzelkind braucht keine andere Erziehung als ein Geschwisterkind. Alle brauchen vor allem zwei Dinge: Liebe und Fürsorge.
Quelle: destatis.de über Einzelkinder, fr.de über Einzelkinder, bento.de über Einzelkinder
Denkfehler!
Dass Einzelkinder automatisch schwierige Persönlichkeiten sind, halte ich für ein Klischee. Jeder hat nun mal andere Charaktereigenschaften und wir wissen bei einem Einzelkind nun mal nicht, ob es diese nicht auch hätte, wenn es Geschwister hätte...
Ich selbst habe eine kleine Schwester. Wir sind eigentlich schon immer ein Herz und eine Seele. Aber natürlich haben wir auch gestritten, das gehört ja auch dazu. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass mein Sohn Einzelkind bleibt. Zu schön war es, immer einen (Spiel-)Partner zu haben und sich mit meiner Schwester gegen unsere Eltern zusammen zutun.
Bildquelle: Gettyimages/Constantinis