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Kristellern – ja oder nein?

Der Handgriff soll die Geburt beschleunigen, ist aber umstritten. Was für ihn und was dagegen spricht, wer ihn befürwortet, und wer ihn ablehnt: Lies hier alles, was du über das Kristellern wissen solltest.

Kristellern ist tatsächlich der Begriff, mit dem die Anwendung des Kristeller-Handgriffs beschrieben werden kann. Das Verb "kristellern" ist eine allgemein gültig Sprachregelung. Diese Methode der Geburtshilfe stammt bereits aus dem 19. Jahrhundert. Der Arzt und Geburtshelfer Samuel Kristeller beschrieb 1867 zum ersten Mal einen Handgriff, der bei der Geburt für ein schnelleres Herausschlüpfen des Babys sorgen soll. Die Methode wird bis heute angewendet – wird aber von vielen, auch Fachleuten, durchaus kritisch gesehen.

Viele Schwangere fürchten sich vor dem Kristeller-Handgriff – zu Recht?
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Kristellern – wie funktioniert der Handgriff?

Sinn dieser Methode ist es, den Geburtsvorgang zu beschleunigen, sodass das Baby schneller durch den Geburtskanal ins Freie kommt. Das geschieht folgendermaßen:

  • Wenn der Kristeller-Handgriff angewendet wird, dann wird starker Druck auf den oberen Rand der Gebärmutter ausgeübt.
  • Ein Geburtshelfer (Arzt oder Hebamme) ertastet zunächst auf dem Bauch der Schwangeren den Po des Babys.
  • Im synchronen Rhythmus mit den Wehen verstärkt der Geburtshelfer dann den Druck auf den Bauch der Mutter.
  • Das kann mit beiden Händen geschehen.
  • Eine andere Technik ist es, mit dem gesamten Unterarm zu kristellern. Besonders dieses Vorgehen wird kritisiert, weil es weniger sensitiv und nicht so punktgenau ist.
  • Damit der Krafteinsatz voll zur Wirkung kommt und der Einsatzwinkel stimmt, stellt sich der kristellernde Geburtshelfer häufig auf einen Schemel neben die Schwangere.

Der Kristeller-Handgriff und was Kritiker daran bemängeln

Eben der letzte Punkt ist einer der vielen Kritikpunkte an dieser Methode der Geburtshilfe:

  • Viele Frauen fühlen sich dominiert und ausgeliefert.
  • Manche fühlen sich danach regelrecht traumatisiert.
  • Der Eingriff wird vielfach auch als sehr schmerzhaft beschrieben.
  • Die Anwendung des Handgriffs wird oft nicht fachgerecht durchgeführt.
  • Es gibt bislang kaum Studien, ob und welchen Nutzen es für Mutter und Kind hat – und das, obwohl das Kristellern häufig üblich ist.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt die Anwendung des Kristeller-Handgriffes nicht. Es gebe zu viele Bedenken, dass Mutter und Baby bei dieser Prozedur zu Schaden kommen können, und die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe warnt davor.

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Negative Folgen können sein:

  1. Es besteht die Gefahr einer vorzeitigen Plazentaablösung.
  2. Manche Frauen haben Probleme, das gravierende Eingreifen in den Geburtsvorgang seelisch zu verarbeiten.
  3. Insgesamt hohes Verletzungsrisiko für Mutter und Kind. Bei der Mutter: Leber- oder Gebärmutterrisse, Rippenprellungen oder sogar –brüche, Damm- und Scheidenrisse. Beim Kind: Schulterdystokie, also wenn sich bei der Geburt die Schulter des Babys verkeilt, Hirnschädigungen durch den starken Druck auf den Kopf, Armlähmungen.

Mögliche Gründe, die für das Kristellern sprechen:

  1. Die beschleunigte Geburt kann das Kind vor Komplikationen wie Sauerstoffmangel bewahren.
  2. Richtig angewendet kann der Kristeller-Handgriff den Einsatz einer Saugglocke oder auch einen drohenden Kaiserschnitt abwenden.
  3. In der letzten Phase der Geburt ist manche Gebärende völlig erschöpft und hat keine Kraft mehr, ausreichend zu pressen.
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Unbestritten ist, dass der Kristeller-Handriff auf jeden Fall nur in der letzten Phase der Geburt, der so genannten Austreibungsphase, angewendet werden darf. Der Muttermund muss sich bis auf zehn Zentimeter geöffnet haben und das Kind in Schädellage bereits in den Geburtskanal gerutscht sein.

Kristeller-Handgriff – als letztes Mittel der Wahl

Eben weil die Gefahr von Verletzung für Mutter und Kind sehr groß ist, sollte der Einsatz des Kristeller-Handgriffs gut und genau überlegt werden und nur bei medizinischer Notwendigkeit angewendet werden.

Solche denkbaren Fälle sind:

  • Die Herztöne des Babys lassen nach.
  • Es besteht Sauerstoffmangel.
  • Die Mutter ist zu erschöpft oder kann wegen einer PDA nicht ausreichend pressen.

Nicht angewendet werden sollte der Handgriff in diesen Situationen:

  • Schulterdystokie, das heißt, das Kind hat sich mit der Schulter hinter dem Schambein der Mutter verkeilt.
  • Der Muttermund ist nicht vollständig geöffnet.
  • Der Kopf des Kindes liegt nicht in Schädellage am Beckenausgang.
  • Arzt oder Hebamme beherrschen die Technik nicht korrekt oder drücken und zu stark oder zum falschen Zeitpunkt.
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Auch hier kommt es also wieder einmal auf die richtige Technik an, sie ist entscheidend. Richtig angewendet und wohl dosiert kann der Kristeller-Handgriff eine Saugglocke oder einen Kaiserschnitt verhindern. Und wenn alle anderen Geburtshilfen ausgeschöpft und die Mütter total erschöpft sind, kann sachtes Kristellern, mit flachen Händen und nicht mit dem Unterarm, eine große Hilfe sein – für Mutter und Kind.

Ihr seid vermutlich verunsichert nach dem, was ihr hier über das Kristellern gelesen habt. Viele von euch haben bestimmt auch den einen oder anderen Erfahrungsbericht von Müttern gehört oder gelesen. Aber es gibt auch positive Erlebnisse: Frauen schildern, wie ihnen und ihren Babys durch den Kristeller-Handgriff Schlimmeres erspart geblieben ist. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man euch sagt, was zur Unterstützung bei der Geburt in der jeweiligen Situation bei euch gemacht wird. Dazu sind die Geburtshelfer verpflichtet und sie müssen es zudem dokumentieren. Zur Absicherung fragt ihr vielleicht zuvor in eurem Kranken- oder Geburtshaus nach, ob dort kristellert wird und wie viel Erfahrung das Klinikpersonal damit hat.

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Und noch ein Tipp: Versucht auf jeden Fall, möglichst angstfrei in den Kreißsaal zu kommen. Denn oft sind Schmerzen und Verkrampfungen nicht physisch, sondern psychisch bedingt. Vielleicht versuchst du es einmal mit Hypnobirthing, also besonderen Entspannungs- und Meditationsübungen als Vorbereitung für eine möglichst schmerzfreie Geburt.

Bildquelle: Getty Images