"Ich kann nicht mehr! Und ich will auch nicht mehr". Das sind vermutlich die Sätze, die ich in den letzten zwei Jahren am meisten gedacht habe. Denn es ist kein Ende in Sicht. Meine internen Akkus sind leer sind und Erholung scheint einfacht nicht mehr möglich zu sein. Ist das Jammern auf hohem Niveau? Nein, denn die mentale Gesundheit von Müttern hat während der Pandemie schwer gelitten.
Wir alle fühlen uns von Zeit zu Zeit auch mal überfordert. Das sind meist besonders stressige Situationen, in denen wir das Gefühl haben, wir hätten so gar keine Kontrolle mehr über das, was passiert. Kurzfristig sind solche überwältigenden Gefühle aushaltbar, auch, weil es zum Leben dazu gehört, mit Herausforderungen zurechtzukommen. Aber in der Pandemie wird die Überforderung von Müttern so dermaßen überreizt, dass viele vor dem Burnout stehen.
Depressive Verstimmung nehmen zu
Vor der Pandemie gaben laut der bundesweiten Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Wirtschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) 29 % der Frauen, die in einer Beziehung leben und 21 % der alleinerziehenden Frauen an, sich manchmal oder häufiger niedergeschlagen und hoffnungslos zu fühlen. Jetzt sind es 64 % der Frauen in Beziehungen und 75% der Alleinerziehenden. Auch bei den Männern stieg der Anteil derjenigen mit depressivem Verstimmungen, allerdings nicht so deutlich, von 33 % auf 48 %.
Auf den ersten Blick mag das verwundern, denn die Untersuchung zeigte auch, dass die Mehrarbeit während der Schul- und Kitaschließungen beinahe fair zwischen den Eltern aufgeteilt wurde, Mütter mit Partner übernahmen im Schnitt etwa drei Stunden mehr Sorgearbeit, Väter mit Partnerin zweieinhalb. Klingt fair, oder? Was dabei übersehen wird: Bereits vor der Pandemie war die Care-Arbeit ja nicht fair verteilt. Vorher übernahmen Väter drei Stunden pro Tag Care-Pflichten, Mütter sechs bis sieben Stunden. In Summe bedeutet das also, dass die Väter während der Pandemie auf ungefähr sechs Stunden Care-Arbeit pro Tag kommen, Mütter aber auf mehr als zehn Stunden. Pro Tag!
Wer erlaubt sich in diesen Zeiten auszuruhen?
Was dabei nicht ins Gewicht fällt: Es gab mehr als eine Schließzeit. Und die Pandemie hält weiterhin an. Die Mehrfachbelastung wird in vielen Haushalten immer größer, auch, weil die mentalen Reserven immer kleiner werden. Denn wer hat schon Zeit sich mal zurückzulehnen und zu entspannen? Wenn ich theoretisch Luft habe, weil meine Erwerbsarbeit, die ich immerhin im Homeoffice erledigen kann, beendet ist, dann setze ich mich nicht auf die Couch und gönne mir Ruhe. Dann überlege ich, was ich schon vorbereiten könnte für den Tag X an dem eins meiner drei Kinder in Quarantäne muss oder sich angesteckt hat.
Allein diese Vorbereitung auf den Ernstfall, die kostet Kraft, weil wir ja alle in einer Art Schockstarre verharren und darauf warten, was als nächstes passiert. Während wir gleichzeitig flexibel sein müssen, weil ja überhaupt nicht klar ist, was passieren könnte. Das hört sich nach einer Lappalie an, aber die ganze Zeit mit Gedanken an eine mögliche Zukunft beschäftigt zu sein, das macht auch die Gegenwart kaputt.
Eltern machen sich Sorgen um ihre Kinder
Es gibt Tage, da sitze ich dann irgendwann gegen 22:00 Uhr weinend auf dem Sofa und schaue mich in meinem heimischen Chaos um. Und überlege, was das wohl mit meinen Kindern macht, wenn sie eine dauerhaft angespannte Mutter erleben, die eigentlich nie so richtig im Moment ist. Die letzten fast zwei Jahre haben meinen Kindern viel abverlangt. Natürlich war es am Anfang, im ersten und zweiten Lockdown ganz spannend, mal bei Zoom- oder Telefoninterviews dabeizusitzen, im Meeting den Kolleginnen zuzuwinken. Aber das nutzt sich über die Zeit ab. Und auch wenn ich heute noch nicht bereit bin, meine Kinder wegzuorganisieren, um ein Bild von "das läuft hier alles" aufrecht zu erhalten, es fällt mir inzwischen schwerer, das alles zu ertragen.
Ich habe das nie gewollt
Ich erinnere, wie sich 2020 viele Eltern auch über die unverhoffte Auszeit gefreut haben. Endlich mehr Zeit mit den Kindern, ohne Druck. Ich habe den auch damals schon gespürt, denn wir leben sehr beengt zu fünft mitten in Berlin. Das war schon vor Corona nicht ganz unproblematisch, mit dem erzwungen Rückzug ins Private, verbesserte sich unsere Gesamtsituation allerdings nicht.
Mein ältestes Kind wurde in dieser Zeit eingeschult und schnell war klar: Sie wird erstmal keinen normalen Schulalltag kennenlernen. Stattdessen: Homeschooling, mit mir als ungeduldiger und schlechter Lehrerin. Ich hatte ja auch eigene Aufgaben zu erledigen und mich nie für diese Arbeit gemeldet. Während die Geschwister im gleichen Zimmer turnten und ich eigentlich in irgendeiner Konferenz sitzen sollte, versuchte das Kind also, lesen, schreiben und rechnen zu lernen.
Diese ganze Situation hat nicht nur Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Erwachsenen, sondern auch auf die unserer Kinder. Auch hierzu gibt es Studien, aber keine echten Lösungen. Dass unsere Kinder aber oftmals psychisch belastet sind, das wiederum macht vielen Müttern zu schaffen, die eh schon unter so einem hohen Druck stehen. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es momentan auch keinen echten Ausweg gibt.
Eltern, werdet mal laut!
Aber halt, es gibt natürlich viele Menschen (leider meist Männer), die ganz viele Ideen haben, wie es laufen könnte. Also in der Theorie. Marc Raschke, Medizinjournalist, hat sich vor wenigen Tagen darüber mokiert, dass Eltern nur ein "Protestchen" zustande bekämen, statt dem gebotenen zivilen Ungehorsam. Wir sollten alle laut sein, eintreten für unsere Kinder und nicht immer nur jammern und darauf verweisen, wie müde wir doch seien. Kann man schon machen, so eine Ansage, ist aber schei*e.
Wie geht ziviler Ungehorsam mit Kindern?
Zum einen, weil es total ausblendet, wie viel Eltern bisher geleistet haben. Wie viele haben sich die Finger wund getippt, Ideen initiiert, sich stark gemacht für Familien? Zum anderen aber ist es auch herrlich einfach zu sagen: Jetzt macht doch mal. Es ist die selbe Mär, die das Patriachat schon eigentlich immer bedient: Ihr seid selbst Schuld an eurer Situation, nur ihr könnt sie ändern. Wie soll ziviler Ungehorsam denn in der Realität aussehen? Spielen wir die Möglichkeiten mal durch:
- Die Kinder nicht in Kita und Schule geben (es gibt ja eine Schulpflicht, das könnte also Konsequenzen haben): Wer betreut die Kinder dann während der Zeit, in der sie normalerweise in den Einrichtungen sind? Genau, die überlasteten Eltern "neben" der eigenen Erwerbstätigkeit.
- Der Arbeit unentschuldigt fernbleiben: Führt im schlechtesten Fall zur Kündigung und damit finanziell besorgten Eltern.
- Demos organisieren? Das braucht Zeit, die die meisten Eltern zwischen Erwerbs- und Carearbeit nicht haben dürften.
- Die Kinder einfach in den Einrichtungen lassen, so als Zeichen, dass man nicht alles auf dem Rücken der Eltern austragen kann? Nun, es sind noch immer unsere Kinder, die wir lieben, beschützen und gern um uns haben (nur eben nicht 24/7 zusätzlich zur Erwerbsarbeit).
- Ans Kanzleramt oder den Bundestag oder das Brandenburger Tor ketten, vielleicht halbnackt, wegen der medialen Wirkung? In der Zeit, wo wir das erledigen, sind unsere Kinder unbetreut. Und die ganze Aktion dürfte auch nicht zu lange dauern, denn irgendwer muss den Nachwuchs ja auch wieder versorgen. Man kann Kinder nämlich nicht sich selbst überlassen.
Wie kann eine Gesellschaft das zulassen?
Der Punkt, an dem ein bisschen Self Care und Ruhe die Sache für viele Mütter wieder einigermaßen gerichtet hätte, der ist überschritten. Wer all das auffangen soll, ist unklar. Es gibt Wartelisten bei Psychotherapeut*innen, Mutter-(Kind)-Kuren, Burnout-Präventionskursen. Die Buchhandlungen sind voll mit Ratgeberbüchern, aber die meisten Eltern werden keine Zeit oder Energie haben sie zu lesen. Weil jeder Tag, der kommt ein weiterer Kraftakt ist, der von immer weniger mentalen Ressourcen gestützt wird.
Was bleibt, ist Wut. Und Resignation. Und ein jeden Tag über die eigenen Grenzen hinausgehen, weil sich der Familienalltag nicht anders aufrechterhalten lässt. Dass eine Gesellschaft es zulässt, dass große Teile der Bevölkerung in den Burnout rutschen und darauf mit "Selbst schuld" reagiert wird, ist ein Zustand, von dem wir uns vielleicht nie wieder erholen werden.
Wenn ihr euch Sorgen um eure mentale Gesundheit macht, kann das Video vielleicht eine erste Hilfe anbieten. Und bitte sprecht mit eurer Ärztin oder eurem Arzt über eure Erschöpfung. Ihr solltest das nicht allein aushalten müssen:
Pippi & Co: Wie gut kennst du die Kinderbuch-Klassiker?
Wenn du dich überfordert fühlst oder einfach nur mit jemandem über deine Belastung sprechen möchtest, dann kannst du dich jederzeit an REDEZEIT FÜR FAMILIEN wenden. Hier stehen dir Coaches für ein kostenloses Gespräch zur Verfügung.