Was tun, wenn das Baby im Bauch eine schwere Behinderung hat? Austragen, abwarten – oder abtreiben? Mehr als 90 Prozent der betroffenen Mütter entscheiden sich für eine Abtreibung. Zum Teil eine Spätabtreibung. Der Film "24 Wochen" begleitet das Ringen um eine Entscheidung. Ein wichtiges Thema, über das man reden muss – und ein gut gemachter Film!
Darum geht’s in dem Film "24 Stunden"
Astrid und Markus stehen mit beiden Beinen fest im Leben. Astrid lebt und liebt ihren Beruf als Kabarettistin, ihr Mann und Manager Markus unterstützt sie besonnen und liebevoll. Doch als die beiden ihr zweites Kind erwarten, wird ihr Leben aus der Bahn geworfen: Bei einer Routineuntersuchung erfahren sie, dass das Baby schwer krank ist. Die Diagnose trifft sie wie das blinde Schicksal, das sie auf sich nehmen müssen. Gemeinsam wollen sie lernen, damit umzugehen. Doch während Heilungspläne, Ratschläge und Prognosen auf sie niederprasseln, stößt ihre Beziehung an ihre Grenzen. Die Suche nach der richtigen Antwort stellt alles in Frage: die Beziehung, den Wunsch nach einem Kind, ein Leben nach Plan. Je mehr Zeit vergeht, desto klarer erkennen sie, dass nichts und niemand ihr die Entscheidung abnehmen kann, die eine Entscheidung über Tod und Leben ist.
Wir haben den Film angeschaut – unsere Meinung:

"24 Wochen" ist ein Film, den man durchaus auch nicht mögen darf, denn es sind 103 Minuten Kino, die seelisch und körperlich weh tun. Darüber hinaus ist "24 Wochen" aber eines: Ein sehr guter, deutscher Film, der sich dem Thema Spätabtreibung mit seinen vielen Facetten respektvoll annimmt. Authentisch, aufwühlend, polarisierend. Die beiden Hauptdarsteller Julia Jentsch ("Die fetten Jahre sind vorbei", "Sophie Scholl – Die letzten Tage") und Bjarne Mädel ("Der Tatortreiniger") sind grandios, sie reißen den Zuschauer mit. Besonders realistisch machen den Film die Nebenrollen-Darsteller: Die Ärzte und die Hebamme sind keine Schauspieler, sondern auch im wahren Leben Mediziner.
"Ich würde mich für den Rest meines Lebens schuldig fühlen", argumentiert der Vater in "24 Wochen". Der Arzt rät, die Launen der Natur zu akzeptieren. Und die werdende Mutter wagt die mutige Selbsteinschätzung "Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin." Die Hebamme versucht zu beruhigen "da darf auch keiner darüber urteilen". Schnell wird klar: Nach außen hin ist die Entscheidung, das Kind zu bekommen oder abzutreiben, eine gemeinsame. Schlussendlich muss aber doch die Mutter alleine über Leben und Tod entscheiden. Nicht nur im Film, sondern auch im wahren Leben. Das traurige Résumé von Astrid: "Ich hätte so gerne anders entschieden". Ob eine Spätabtreibung moralisch vertretbar ist, muss jeder selbst für sich entscheiden, der Film spricht weder dafür noch dagegen. Jeder stellt sich nach dem Film dieselbe Frage: Wie würde ich entscheiden? Und schnell wird klar, dass die Hebamme in "24 Wochen" Recht hat: "So eine Entscheidung kann man nur treffen, wenn man sie treffen muss."Im Fall Downsyndrom entscheiden sich 90 Prozent der Eltern dafür ihr Kind abzutreiben.

Wer sollte sich den Film anschauen? Da der Film in keinster Weise ein "Frauenfilm" ist, lautet unsere Empfehlung: Alle, die sich auch nur annähernd für das Thema interessieren. Denn es tut Not, das Thema aus der Tabuzone zu holen und emotional zu diskutieren.
Kinostart von "24 Wochen" (Laufzeit 103 Minuten, FSK 12) war am 22. September 2016.
➤ Den Film gibt es auf DVD bei Amazon.de.
Pränataldiagnostik: Segen und Fluch zugleich
Der Film zeigt, was der technische Fortschritt in der pränatalen Diagnostik eigentlich ist: Segen und Fluch zugleich. Wir wissen lange vor der Geburt, welche Behinderung unser ungeborenes Kind hat. Aber was ist dann? Die allermeisten Frauen entscheiden sich für die Feindiagnostik, lassen die Nackenfalte messen oder das Fruchtwasser untersuchen. Sie machen sich aber selten VOR der Untersuchung Gedanken, wie sie mit einer schlechten Nachricht umgehen möchten und ob und welche Konsequenzen die Diagnose "Behinderung" für sie hat. Ist es wirklich gut, vorab alles zu wissen? Für die meisten Paare lautet die klare Antwort "Ja". Denn nur so haben sie die Entscheidungsfreiheit, sich im Zweifel auch gegen ein behindertes Kind zu entscheiden. Wichtig zu wissen ist aber: Jede Mutter darf sich auch gegen pränataldiagnostische Untersuchungen entscheiden. Wenn sie sich FÜR vorgeburtliche Untersuchungen entscheidet, sollten werdende Eltern bereits zu einem frühen Zeitpunkt darüber nachdenken, was eine Behinderung für sie bedeuten würde.
Austragen, abwarten oder abtreiben?
Nach einer Diagnose bricht für werdende Eltern eine Welt zusammen. Plötzlich ist gar nichts mehr klar. Keiner kann sagen, wie schwer die Erkrankung oder Behinderung nachher wirklich ist. Wie sich das Kind entwickeln wird. Was jetzt nötig wäre – nämlich genug Zeit für ruhiges Abwägen – dafür bleibt keine Zeit. Immer weitere Untersuchungen bei unterschiedlichen Experten stehen an, die Eltern pendeln zwischen Hoffnung, Enttäuschung und Angst. Die Zeit drängt und rennt davon. Besonders schwer fällt die Entscheidung in den Fällen, wo kein Mediziner prognostizieren kann, wie das Leben des Kindes verlaufen wird. Bei Erkrankungen wie Spina bifida (Offener Rücken) und Downsyndrom ist die Bandbreite der Beeinträchtigung äußerst groß, der Entscheidungskonflikt ist hier besonders heftig.
Viele Fehlbildungen sind beim ersten großen Ultraschall (9. bis 12. Schwangerschaftswoche) noch gar nicht zu sehen. Herzfehler werden beispielsweise oft erst beim zweiten großen Ultraschall (19. bis 22. Schwangerschaftswoche) erkannt. Wird eine Erkrankung des Fötus nach der 12. Woche diagnostiziert, ist der Konflikt noch größer: Der Fötus kann jetzt nicht mehr medikamentös abgetrieben oder abgesaugt werden, sondern das Baby muss auf normalen Weg auf die Welt gebracht werden. Je mehr Zeit vergeht, umso "fertiger" ist der kleine Mensch.
Wer aus religiösen Gründen entscheidet, hat es ein bisschen leichter: Das Gebot "Du sollst nicht töten" ist eine klare Ansage, eine Abtreibung kommt für die meisten strenggläubigen Christen nicht in Frage. Für alle anderen beginnen die Abwägungen. Können wir uns ein Leben mit einem behinderten Kind vorstellen? Was bedeutet eine Behinderung für unseren Alltag? Was, wenn das Kind größer und die Eltern älter werden? Das Dilemma belastet ungemein, denn wer sich für das eine entscheidet, entscheidet sich automatisch gegen das andere. Und egal, welche Entscheidung nachher fällt: Sie wird das Leben der Eltern ändern.
Was tun, wenn die Diagnose „Behinderung“ oder „Schwerstbehinderung“ lautet?
➤ Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Oft lautet der ärztliche Rat direkt nach der Diagnose „Handeln Sie jetzt schnell!“. Auch wenn Sie schon früh zu einer Abtreibung tendieren, nehmen Sie sich Zeit für den Abschied von Ihrem Kind. Ein zu schnell gefasster Entschluss kann zu einem langwierigen und besonders schmerzhaften Trauerprozess führen.
➤ Für viele Eltern, deren Kind nicht lebensfähig ist, ist es eine gute Option, zu warten, bis die Geburt von selbst einsetzt und dann das Baby auf normalem Weg sterben zu lassen. So haben die Eltern das Gefühl, der Natur freien Lauf gelassen zu haben – und nicht willentlich ihr Kind getötet zu haben.
➤ Scheuen Sie sich nicht, mit anderen Menschen über Themen wie Behinderung, Schwerstbehinderung, Downsyndrom - und auch über Abtreibung zu sprechen. Viele Menschen, die ähnliches durchmachen oder durchgemacht haben, teilen ihre Erfahrungen gerne. Kontakte finden sich im Bekanntenkreis, in Foren, in Selbsthilfegruppen oder über die Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle.
➤ Wenden Sie sich an eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle. Hier dürfen Paare oder Schwangere zur Ruhe kommen, ihre Gedanken ordnen – und alle Fragen stellen, die sie bewegen. Adressen finden Sie im Internet über pro familia, Diakonisches Werk, die Arbeiterwohlfahrt oder auch über das Gesundheitsamt. Ihr Frauenarzt kann Ihnen sicher auch mit Adressen weiterhelfen.
Was ist eine Spätabtreibung?
Ein Spätabbruch ist ein Schwangerschaftsabbruch nach der 22. Schwangerschaftswoche. Ab der 22. Woche wird dem Fötus vor der eigentlichen Abtreibung eine Kaliumchloridspritze ins Herz oder die Nabelvene gesetzt (Fetozid, Tötung des Kindes im Mutterleib). Die sorgt dafür, dass sein Herz zu schlagen aufhört. Ohne diese Spritze wäre die Gefahr groß, dass das Kind lebend zur Welt kommt. In diesem Fall sind die Ärzte angehalten alles dafür tun, dass es überlebt. Eine groteske Situation, denn eigentlich sollte das Kind ja sterben. Per Ultraschall sieht der Arzt, wann das Herz nicht mehr schlägt, dann wird der Abbruch mit wehenauslösenden Mitteln eingeleitet und die Schwangere muss ihr Kind auf normalem Weg zur Welt bringen. Die künstlich eingeleitete Geburt kann sich über viele schmerzhafte Stunden ziehen.
Wie ist die Rechtslage?
In den ersten zwölf Wochen ist eine Abtreibung grundsätzlich möglich und bleibt straffrei. Einzige Voraussetzung ist eine Beratung. Nach der Beratung muss die Schwangere eine dreitägige Bedenkzeit einhalten, bevor ein Abbruch durchgeführt werden darf. Bei einer medizinischen Indikation darf ein Schwangerschaftsabbruch auch nach der 12. Woche durchgeführt werden. Von einer medizinischen Indikation spricht man, wenn für die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter Gefahr besteht. Wenn eine Frau sich nicht in der Lage sieht, das behinderte Kind zu bekommen, darf sie ihr Kind rein theoretisch bis zum Einsetzen der Wehen abtreiben. Je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist, desto schwerwiegender müssen allerdings die Gründe für den Abbruch sein. Bei Spätabtreibungen hat in vielen Fällen die Ethikkommission der Klinik das letzte Wort, dem Antrag der Eltern wird aber allermeist zugestimmt.
➤➤ Linktipp zum Weiterlesen: Die Broschüre "Schwangerschaftsabbruch – Was Sie wissen sollten / Was Sie beachten müssen" (Herausgeber: pro familia) können Sie hier runterladen.
Bildquelle: Friede Clausz, Neue Visionen Filmverleih